Wolle's Jazztruhe

  • Nach der ungewöhnlichen Plattenkiste möchte ich diesen Thread dafür nutzen, euch ein paar interessante Jazzplatten aus meiner Sammlung vorzustellen, unabhängig davon, auf welchem Tonträger diese erhältlich sind. Es werden aber hauptsächlich Scheiben sein, die nicht der breiten Masse der Hörer bekannt sind oder als Jazzklassiker gelten, sondern vielmehr die Perlen, auf die man abseits des Hauptweges stösst, wenn man sich viele Jahre schon dem Thema Jazz widmet.


    Den Anfang macht nun eine Scheibe, die mir sowohl als LP, wie auch als CD vorliegt...


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    JOHNNY DYANI QUARTET - Song For Biko von 1979 auf Steeple Chase


    DYANI war ein südafrikanischer Kontabassspieler, der leider 1986 mit nur 39 Jahren recht Früh verstorben ist. Größere Bekanntheit erlangte er als Mitglied der südafrikanischen Band BLUE NOTE, der er seit 1964 angehörte. Diese Formation aus 5 dunkelhäutigen und einem weißen Südafrikaner erlangte sehr schnell Aufmerksamkeit und internationalen Ruhm durch ihre Auftritte auf den verschiedensten Festivals, hauptsächlich in Europa. Da allerdings das damalige Arpartheidsregime es nicht zuliess, dass weiße und dunkelhäutige Musiker in einer Gruppe spielten, blieb ihnen nichts weiter übrig, als nach London ins Exile zu gehen.


    JOHNNY DYANI war ein Bassist, der mit einem sehr kräftigen und energischen Ton spielte, was man auch bei dieser Einspielung von 1978 sehr gut hören kann. Er spielte u.a. auch mit Größen der Free Jazz Scene, wie Roland Kirk, Charles Mingus oder wie auch auf dieser LP mit Don Cherry zusammen.


    Besetzung hier: Johnny Dyani (Bass), Don Cherry (Cornet), Dudu Pukwana (Alt Sax) und Makaya Ntshoko (Drums)


    Nicht nur Peter Gabriel widmete einen Song dem bekannten Freiheitskämpfer Steven Biko, nein hier ist gleich eine ganze LP diesem gewidmet. Nun die Musiker waren ja zum Teil selber von diesem Regime betroffen.

    Die Musik ist hochgradig spannend, lebendig und lebt neben mancher Ausbrüche in die freiere Spielweise vor allem von dem Rhythmus und dem geschloßenem Bandgefüge. Was zum Teil auch der extrem guten Aufnahme zu verdanken ist, bei der jedes Instrument eine gleichberechtigte Rolle und Durchhörbarkeit einnimmt.


    Meine LP Version von 1979 aus den USA klingt ein Hauch wärmer und besser in der Tiefenstaffelung. Die 1994 in Dänemark veröffentlichte CD Ausgabe klingt ebenfalls sehr gut und beinhaltet zudem einen weiteren Titel "Lonley Flower In The Village" aus gleicher Session mit immerhin einer Lauflänge von 21 Minuten und einem fantastischem Basssolo.


    Wer was für lebhaften Jazz mit afrikanischem Einfluss (z.B. Dollar Brand) übrig hat, sollte diese Scheibe kennen, egal auf welchem Medium,


    Wolle


  • weiter geht es mit...


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    FRITZ PAUER - Live At The Berlin "Jazz Galerie" von 1970 auf MPS


    Der im Juli 2012 verstorbene Pianist aus Österreich, hier mit seiner ersten Platte unter eigenem Namen. Pauer, der bereits als Kind eine klassische Klavierausbildung machte, ist das erste Mal auf einer Platte von Hans Koller 1962 zu hören, dem er es nach eigener Aussage auch verdankte, zum Jazz gekommen zu sein.


    Hier ist er im Trio mit JIMMY WOODE (Bass) und BILLY BROOKS (Drums) zu hören. Wenn auch die Platte mit knapp 30 Minuten laufzeit recht kurz geraten ist, lohnt es sich für diese Musik allemal. Neben Modalen- und Souleinflüssen zeigen sich die Musiker durchaus auch Experementier- und Improvisationsfreudig. Die Aufnahme ist für einen Livemitschnitt ganz ordentlich. Die Scheibe gibt es auch auf CD.


    Wolle

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    BÄNZ OESTER & THE RAINMAKERS - Ukuzinikela Live In WILLISAU von 2016 auf Yellowbird/Enja


    Bänz Oester ist ein Jazzbassist aus der Schweiz, der u.a. auch schon als Sideman für Dewey Redman, Arthur Blythe oder Michael Brecker gespielt hat. Sein 2014 gegründetes Quartet, bestehend aus zwei Südafrikanischen und zwei Schweizer Musikern legt hier ihre zweite CD (beides Livemitschnitte) vor. Leider gibt es diese Aufnahmen noch nicht auf Vinyl.


    Schon der erste Track, eine Coverversion des Klassikers "Amsterdam" von Jacques Brel, zieht einen sofort oin den Bann dieser Formation. Ich habe ja schon wirklich tolle Versionen, von u.a. Scott Walker oder David Bowie, dieses Songs gehört, aber als Jazzimprovisation ist das hier gigantisch. Langsam bauen sich vor einem die Schweizer Berge auf, um dann aber immer wieder in die Steppen Afrikas hinunter zu fliessen. Diese Verbindung europäischer Jazzdramatik mit der spirituellen und rhytmisch starken afrikanischen Art, macht für mich die Fazination dieser Gruppe aus.


    Dazu kommt eine sehr sehr gute Aufnahmequalität und die Tatsache, dass diese CD keinen schwachen Moment hat (ist natürlich Subjektiv).

    Ich freue mich schon auf ihre erste CD "Playing At The Bird's Eye" von 2014, die hier auch noch bereit liegt.


    Wolle

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    BINKER AND MOSES - Dem Ones von 2015 auf Gearboxrecords


    Da jetzt gerade vor ein paar Tagen ihr zweites Album erschien (beide auf Vinyl), möchte ich euch mal dieses Duo aus dem Londoner Underground nahelegen. Die zwei jungen Musiker Binker Golding (SAX) und Moses Boyd (Drums) spielen nur Eigenkompositionen, welche sich Nahe am Free- oder auch Avantgarde Jazz, sprich durchaus freierem Spiels, bewegen. Aber nie so extrem, dass es nervt oder zu anstrengend wird. Das sie auch sehr einfühlsam und emotional spielen können, beweisen sie in dem fantastischen Stück "The Creeper".


    Die Aufnahme direkt live auf einer Studer 1/4 Maschine ohne Nachbearbeitung ist aller erste Sahne und trägt erheblich dazu bei, dass diese LP bei mir zu den Highlights der neueren Jazzveröffentlichungen zählt. Der Sound von Binker am Saxophon erinnert öfters auch an den jungen John Coltraine.


    Wolle




  • Wolle, feiner Tip. Allerdings für eher geübte Jazz-Ohren. Ansonsten gebe ich Dir recht, daß es ein ausgewogenes und gekonntes Spiel (wie mir scheinen will, gut an Coltraine orientiert). Es soll ja in diesem Jahr ein zweites Album erschienen sein. Sogar mit einer Sängerin?

    Gruß Reinhard
    "Ich kann allem widerstehen - nur nicht der Versuchung." (Oscar Wilde)
    Über mich

  • Sehr schöner Tipp, Wolle! :thumbup:


    Der Nachfolger Journey To The Mountain Of Forever scheint auch sehr interessant zu sein.


    Viele Grüße

    Christian

    »Danke, ich bleibe bei der analogen Tonwiedergabe«, hatte er einmal zu mir gesagt. »Die digitale Aufzeichnung entstellt das Gefüge der diatonischen Tonleiter. Den meisten Menschen fällt es nicht auf, aber mein Gehör ist hypersensibel. Ich erkenne diese minimalen intradigitalen Auslassungen. Das ist eine meiner Anlagen.«

    Einmal editiert, zuletzt von Christian R. ()

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    BINKER AND MOSES - Journey To The Mountain Of Forever von 2017 auf Gearbox


    Zunächst dachte ich, man hätte mir versehentlich eine neue ProgRock Platte geschickt, als ich das Cover sah. Das finde ich schon sehr Mutig, eine Jazzplatte, zumal Free- bis Avant-garde Jazz, mit einem sochen Cover zu veröffentlichen.

    Vorweg...ich finde die Platte klasse, obwohl sie mich etwas ratlos zurück lässt.

    Die erste LP dieser D'LP knüpft Nahtlos an ihr erstes Werk an. Große Klasse, spontan, direkt, voller Power, 1a mit Sternchen. Allein dasür lohnt sich schon die Anschaffung.


    Ja, die zweite LP? Hier mit diversen Gastmusikern gefällt mir auch gut, zwar nicht so toll, wie ihre Duo-Aufnahmen, was daran liegt, dass hier plötzlich eine völlig andere Stimmung aufkommt. Wo auf der 1sten noch die kraftvolle Energie der Beiden im Vordergrund stand, weicht das hier einer Art spirtueller Session, als ob eine ganz andere Band spielen würde.

    Nicht schlecht, das hat auch was, passt aber meiner Meinung nach nicht zur ersten LP.


    Hätte man vielleicht lieber als zwei Alben vermarkten sollen (wobei ich dann wohl auch Beide gekauft hätte). Klang und Pressung sind wieder sehr gut.


    Wolle

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    BEA BENJAMIN with DOLLAR BRAND - Asrican Songbird von 1976/2013 auf Matsuli


    Den Meisten hier wird der Name Benjamin wohl nichts sagen, Bea Benjamin ist eine Jazzsängerin aus Kapstadt, Südafrika. Seit 1965 ist sie die Ehefrau von Abdulah Ibrahim, besser bekannt mit seinem früheren Namen Dollar Brand. Da sie während des Arpartheitsregime in ihrer Heimat nicht auftreten konnte und dann mit ihrem Mann ins Schweizer Exil ging, erschien ihre erste LP (diese) unter eigenem Namen erst 1976.

    Hier wird sie u.a. auch von ihrem Mann am Klavier begleitet.

    Bei den Aufnahmen handelt es sich um sogenannten Cape Jazz oder auch Modal Jazz.

    Das Hauptstück "Africa", welches die ganze erste Seite einnimmt. würde ich als Spiritual Jazz bezeichnen, ein unglaublicher Groove, der Einen sofort in seinen Bann zieht.

    Der letzte von nur drei Songs "African Songbird" ist ihrem Förderer Duke Ellington gewidmet, der sie Damals in die Staaten holte und beim Newport Festival mit ihr auftratt.


    Da die Erstpressung auf Vinyl von 1976 aus Südafrika kaum bezahlbar ist, freue ich mich, dass es nun auf Matsuli Music diese Platte wieder als LP gibt.

    Die Platte klingt gegenüber meiner schon gut klingenden CD Version von 2013 nochmal eine ganze Klasse besser. Auch die Pressung ist sehr gut.


    Wolle

  • Vielleicht die Free Jazz Entdeckung des letzten Jahres ist für mich diese Formation aus Schweden...


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    ANGLES 9 - Disappeared Behind The Sun von 2017 auf Clean Feed


    Die neun Jungs aus Scandinavien unter Leitung des Saxophonisten Martin Küchen spielen eine Art Free- und Avant-garde Jazz. Hört sich ein weinig wie eine Mini Big Band aus 9 Individualisten, die Alle jederzeit in der Lage sind, unverhofft ein Solo einzustreuen, an.


    Die Stücke fangen meist ruhig an und steigern sich ständig, sie swingen und grooven, trotz des Durcheinanders der Instrumente, was teils entsteht. Dank der fantastischen Aufnahme verliert man aber nie den Durchblick im Gewühl und sie finden immer wieder Zusammen.

    Dieses ist ihr neuestes von drei bisherigen Alben. Alle sind übrigens sehr gut.


    Ich hatte zunächst nur die CD's (die klingen auch Klasse), weil es nicht so leicht war, einen Anbieter für die Vinylausgaben zu finden. Konnte sie aber dann über Discogs von einem portugisieschen Händler bekommen.

    Wie die Scandinaven wohl an ein Label (Clean Feed) aus Portugal gekommen sind?


    Wolle

  • hi Wolle, hab mir grad aufgrund deines tips die African Songbird gekauft, gefällt mir sehr gut. Der Groove zieht mich in ihren Bann, die Flöte auf music passt so gut zur Stimme, danke für den Tip!

    Gruß Gerd


    Micro Seiki BL 91, van den Hul „the frog“, Digna 2, AudioNet Sam G2, Harbeth 7 ES - 3


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    TEMIZ, OKAY / DYANI, JOHNNY - Witchdoctor's Son von 1976/2017 auf Matsuli


    Das Label Matsuli wird mir immer sympatischer, veröffentlicht es doch echte Jazzperlen, die ansonsten kaum noch bezahlbar sind. Nach der Oben vorgestellten "Bea Benjamin" LP nun dieses Highlight des südafrikanischen Bassisten Johnny Dyani (der Witchdoctor's Son 1978 in anderer Besetzung nochmal eingespielt hat) mit dem türkischen Percussion- und Schlagzeugspieler Okay Temiz. Hier ist mal die Rhythmus Gruppe der Star der Aufnahme.


    Wolle

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    MR. FATS SADI - Ensadinado von 1966 auf Saba (D)


    Ein Leckerbissen für alle Vibraphone Liebhaber. Der Belgier Fats Sadi im Quartet mit Jimmy Woode (Bass), seinem Landsmann Francy Boland (Piano) und Kenny Clarke (Drums), allesamt bekannt aus der Clark Boland Big Band bei einer Session vom März 1966 in Köln.


    Die Platte swingt und grooved wie die Hölle,


    Und meine alte Saba Ausgabe klingt fantastisch, besser kann man ein Vibraphon wohl kaum noch aufnehmen.


    Wolle

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    DON CHERRY & THE JAZZCOMPOSER's ORCHESTRA - Relativity Suite von 1973 auf JCOA Records


    Ja, was ist das? Ich würde sagen eine Mischung aus Free Jazz, Spiritual Jazz und Fernöstlichen Klängen. Die Musiker Liste ist lang, um nur Einige zu nennen:

    Dewey Redman, Charlie Haden, Carla Bley, Ed Blackwell und Paul Motion.


    Sehr gute Aufnahme, dafür nur mittlemässige Pressung, was der Qualität der Musik aber keinen Abbruch tut.


    Wolle

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    GEORGE GRUNTZ - Noon In Tunesia von 1967 auf Saba


    Mit dieser LP des Schweizer's George Gruntz began das Label SABA (später MPS) 1967 eine kleine Serie unter dem Titel "Jazz Meets The World" aufzulegen.

    Diese LP hat auch den Untertitel "Jazz Meets Arabia".


    Hier gibt eine höchst spannende Verbindung zwischen europäischen Jazzmusikern, wie

    Sahib Shihab, Jean Luc Ponty, Eberhard Weber und Daniel Humair und einer Gruppe von Bedouinen Musikern aus Tunesien, deren Namen ich mir hier mal erspare.


    Ist zunächst vielleicht ersteinmal etwas Gewöhnugsbedürftig, man findet sich aber, dank der tollen Rhythmik, schnell hinein.


    Das die SABA Aufnahmen auch klangliche Highlights sind, ist denke ich, mittlerweile bekannt.


    Wolle