Klassikplatten - Lust und Frust mit der Kulturkonserve

  • Sprich: auch zur Entstehungszeit wurde mit "dem Werk" nicht dogmatisch sondern pragmatisch umgegangen, wenn die Umstände das erforderten.


    Richtig, aber der Autor hat auch das Recht dazu. Andere nicht. Da bin ich rigoros.


    Ansonsten finde ich die Diskussion interessant. Wieso solltest Du da etwas bedauern? :)


    Gruß

    Markus

  • Demjenigen, der das Stück ursprünglich unter seiner Feder hat, gestehe ich das auch gerne zu, ansonsten bin ich bei Markus' Einstellung. Die Komponisten mußten ja auch Leben und da haben sie sich anderen Dingen unterworfen.

    Viele Grüße


    Jörg


    Ich höre damit und meine kleine Plattensammlung seht ihr bei DISCOGS.



  • Wagner war ein ziemlich wilder Hund und Mozart auch. Debussy? Ein Tonal-Anarchist!


    Die provozierten ihr Publikum und haben es genossen. Publikum und Medien haben Musik, Libretto und Aufführung damals oft auch nicht verstanden und verrissen. Eben modern.


    Das Zeitrad dreht weiter. Was mich stört und befremdet findet meine Tochter ganz normal. (Ich Alter Sack)


    Was wohl in 100 Jahren auf der Bühne los sein wird...ich/wir werde es nicht erleben und das ist gut so. :saint:


    Gruß


    Andy

    jadis da 50 s rc - living voice avatar II - project Xtension 10 - ortofon quintet black - remton 383 mk ii - creek destiny cd - wilbrand kabel - audio plan + audio agile stromversorgung, kabel & filter

  • Das ist ja auch in Ordnung bei neuen Werken.

    Was ich nur nicht ausstehen kann, ist eine Sinnentstellung alter Werke.

    Alleine schon, weil ein verstorbener Autor dagegen nichts mehr sagen und machen kann, aber trotzdem sein Name dafür verwendet wird.


    Gruß,

    Markus

  • Übrigens - aber das nur am Rande - waren die weitaus meisten Werke der Musikgeschichte, die bekannte Skandale ausgelöst haben bzw. von denen sich das Publikum provoziert fühlte, keineswegs von den Autoren als Provokation gedacht.


    Gruß,

    Markus

  • Was wohl in 100 Jahren auf der Bühne los sein wird...

    Hundert Jahre sind zu viel. Aber vielleicht in 50 Jahren, wenn die Gesellschaft nicht völlig verarmt oder in die Barbarei gefallen ist - die Stockhausen-Festspiele mit den sieben Opern seines "Licht"-Zyklus in einer Woche. Also inklusive (fliegender) Rakete, Streichern, die von Hubschaubern abgeholt werden, Düfte, die ins Publikum geleitet werden; das volle Programm eben, das er aufgeschrieben hat.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Helikopter-Streichquartett


    https://de.wikipedia.org/wiki/Licht_(Stockhausen)#Inhalt



    Viele Grüße - Frank

  • Die Einzelteile sind ja schon alle präsentiert worden, und ich war zum Glück bei einigen dieser Aufführungen vorbei. Die unmittelbare Aufführung aller sieben Wochentage hintereinander ist ein rein logistisches und somit auch finanzielles Problem.

    Und es ist natürlich auch die Frage, ob es genügend Interessenten gibt, die in der Lage oder willens sind, sich eine ganze Woche freizunehmen, um jeden Abend eine andere Oper zu hören.


    Gruß

    Markus

  • Die unmittelbare Aufführung aller sieben Wochentage hintereinander ist ein rein logistisches und somit auch finanzielles Problem.

    Wenn ich mir alle paar Jahre den korrupten Zauber um die olympischen Spiele mitsamt den gedopten Athleten ansehe, denke ich mir immer - was für eine sinnlose Verschwendung! Oder wie fängt der SIEGFRIED an - "Zwangvolle Plage! Müh' ohne Zweck!" (Mime).


    Viele Grüße - Frank

  • Zur Ehrenrettung von Harnoncourt und seinen Originalinstrumenten - eine der qualitativ besten Aufnahmen und Schallplatten, die ich kenne - auch musikalisch perfekt. Habe ich jetzt aufgrund der Diskussion hier wieder einmal aufgelegt: Die Brandenburgischen Konzerte in der Harnoncourt-Version, Concentus musicus Wien, Telefunken 6.35043 FA, SAWT 9459/60-A - Do.LP-Box, "Füllschrift". Mein Exemplar müsste die Nachpressung aus dem Jahr 1975 sein; angeblich ohne "Royal Sound", während die Ausgabe von 1967 noch mit "Royal Sound" gelabelt ist. Eine frühere Pressung ist mir nicht bekannt, wäre aus heutiger Sicht erstaunlich, wenn Telefunken die Bänder erstmal für drei Jahre in den Regalen hätte verschwinden lassen - das Copyright ist von 1964.

    Ich dachte damals erst - gut, da habe ich mit Glück eine hervorragende Pressung (innerhalb der üblichen Serienstreuung) erwischt. Es handelt sich ja schließlich um keine audiophile Edelpressung, sondern um Massenware. Dann hörte ich eines Tages eine andere Pressung, und die war genauso gut. Manchmal fragt man sich (sinnloserweise), warum Aufnahmen und die spätere Plattenherstellung so gelingen können und andere wiederum nicht. Bezeichnend übrigens, dass Harnoncourt beim "Gralshüter" für seriöse Interpretationen von Bach bis Beethoven, also der DGG, zunächst keine Chance hatte. Dort herrschte als Authorität für die barocke Musik zumindest in den 60er Jahren noch unangefochten Karl Richter, der den Trend zum "Authentischen" bis zuletzt als ein vorübergehendes Modephänomen betrachtete. Erst als Andreas Holschneider bei der dt. Grammophon 1970 das Archiv-Label übernahm änderte sich die Grundeinstellung des DGG-Unterlabels - aber langsam. Immerhin waren die Barock-Aufnahmen unter Karl Richter die meistverkauften Archiv-Platten (inkl. den DGG-Nachpressungen), selbst wenn es sich dabei um die populärsten Stücke fürs Weihnachtsgeschäft handelte, bei denen man von Standpunkt des Verkaufs aus betrachtet sowieso nichts falschmachen konnte.

    Aber mal ehrlich: ich habe vergangene Weihnachten das Oratorium in der Frankfurter Heilig-Geist-Kirche gehört und zu Hause die Richter-Interpretation am nächsten Tag nochmal von Platte (ich habe es sogar komplett) - wunderschön. Somit kann ich nur sagen: beide genannten Aufnahmen überzeugen mich, weil sie künsterlisch einfach gut sind und auf guten Schallplatten verkauft wurden.


    Harnoncourt Telefunken Cover.jpgHarnoncourt Telefunken Label.jpgWeinachtsoratorium Karl Richter Cover.jpg


    Viele Grüße - Frank

  • Zur Ehrenrettung von Harnoncourt und seinen Originalinstrumenten


    Hallo Frank,


    jedoch ein kleiner kritischer Einwand sei gestattet!


    Seit Beginn seiner dirigentischen Laufbahn hat Harnoncourt sich nachgerade systematisch das klassisch-romantische Kernrepertoir angeeignet, stets in ganz neuer Manier. Harnoncourt hat schließlich eine riesiges Repertoir eingespielt, wobei man feststellen kann, dass sich mitunter Manirismen einstellen, die unmotiviert erscheinen.


    Viele Grüße

    Reinhard

  • Seit Beginn seiner dirigentischen Laufbahn hat Harnoncourt sich nachgerade systematisch das klassisch-romantische Kernrepertoir angeeignet, stets in ganz neuer Manier. Harnoncourt hat schließlich eine riesiges Repertoir eingespielt, wobei man feststellen kann, dass sich mitunter Manirismen einstellen, die unmotiviert erscheinen.

    Hallo Reinhard,


    die Sache mit den Manirismen kann ich (teils mangels Sachverstand) nicht wirklich beurteilen, da verlasse ich mich drauf, was Du sagt. Aber ich sehe es - nicht nur, aber auch - von einem ziemlich banalen Standpunkt: die Klassiklabels kämpften ab den 70er Jahren ums wirtschaftliche Überleben. Ohne Umsatz mit Gewinn waren neue Produktionen nicht mehr so einfach wie in den 60er Jahren, als die Klassikhörer so gut wie alles nochmals in Stereo kauften. Wie sollte man aber, nachdem dieser Markt gesättigt war, die 40. Mozart-Symphonie dem Publikum in der 4. (5. 6.?) ähnlichen Interpretation nochmal anbieten? Harnoncourt war anders und hatte zuerst in den USA gegen Ende der 60er Jahre einen überwältigenden Erfolg. Heute würde man sagen, er hatte gegenüber den anderen Dirigenten zu Beginn das "Alleinstellungsmerkmal" der historischen Aufführungspraxis. Aber bald schon musste er seine veritabel gewordene Marktlücke gegen Mitbewerber verteidigen, die ebenfalls dem Trend zum "Authentischen" folgten. Ich habe es in Anführungszeichen gesetzt, obwohl ich es nicht ganz so kritisch sehe, wie mein Lieblingsmusikkritiker Norman Lebrecht, der in "The Maestro Myth" zu diesem Thema schreibt: "Angestachelt von seiner jeweiligen Plattenfirma, versuchte jeder Dirigent, seine persönlichen Vorlieben als die letzte historische Wahrheit zu verkaufen".

    Wie hart das Geschäft mit der Klassik sein konnte, hatte Harnoncourt übrigens schon zu Beginn seiner Dirigentlaufbahn erfahren müssen. Er arbeitete als Cellist bei den Wiener Symphonikern unter Karajan. Nebenher hatte er Telefunken davon überzeugt, Bach-Aufnahmen unter seinem Dirigat und auf frühen Instrumenten zu machen - u.a. die oben erwähnten Brandenburgischen Konzerte. Als Karajan davon erfuhr, verbannte er ihn umgehend aus seinem Hofstaat.


    Viele Grüße - Frank


    ps.: die 25. Mozart-Symphonie, die ich besonders mag, gefällt mir in der Interpretation von Harnoncourt übrigens überhaupt nicht. Viel zu "zackig" und hart für Mozart, irgendwie gewollt spartanisch und diszipliniert (puritanisch?) - für meinen Geschmack und der Eindruck, dass sich Harnoncourt unter allen Umständen nur nicht anhören wollte wie Karl Böhm. Mozart? Nebensache.

  • Aber mal ehrlich: ich habe vergangene Weihnachten das Oratorium in der Frankfurter Heilig-Geist-Kirche gehört und zu Hause die Richter-Interpretation am nächsten Tag nochmal von Platte (ich habe es sogar komplett) - wunderschön. Somit kann ich nur sagen: beide genannten Aufnahmen überzeugen mich, weil sie künsterlisch einfach gut sind und auf guten Schallplatten verkauft wurden.


    Nun, ich da haben wir dann schon einen kleinen Dissens.

    Ich finde die Richter-Aufnahmen nämlich wirklich fürchterlich.


    Zur Ehrenrettung von Richter und seinen unverdaulich schweren Interpretationen: der Trend zum "Monumentalen" war damals ein noch nicht vorübergegangenes Modephänomen. Aber die Platten machen sich gut neben denen von Richard Claydermann und Wim Thoelke. Da gehören sie nämlich m. E. hin. :saint:


    Eben habe ich kurz in eine seiner Matthäus-Passionen reingehört. Die liefert tatsächlich einen Grund für die Benutzung eines Plattenspielers. Damit könnte man nämlich auf 45RPM umschalten, und der langatmigen und langweiligen Interpretation vielleicht einen kleinen Rest dessen abringen, was Barockmusik auch ausmacht: das leichte und tänzerische. Außerdem hat man die Aufnahme so schneller hinter sich.


    :sorry:


    Zuletzt war ich in Karlsruhe bei den Händel-Festspielen in der Oper "Alcina". Ich liebe Barockopern, wenn sie entsprechend gespielt und gesungen werden. Ich habe anschließend ein paar Arien auf Youtube gesucht, und da kann man den Unterschied zwischen dem Nachkriegsgeschmack und dem heutigen prima festmachen.


    Wenn ich alte Barock-Platten höre, dann klingt eine Arie wie "Tornami a vagheggiar" in etwa so, wie hier von Joan Sutherland:


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    Großes Orchester, dadurch alles wenig transparent, kein "Groove", der Gesang immer im Vibrato. Sutherland ist bestimmt keine schlechte Sängerin, und das Beispiel ist gemein, aber hier "kann" sie das einfach nicht, dafür ist die Stimme schon zu schwer und unbeweglich.


    Das wird spätestens klar, wenn man sich das hier mal anhört:


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    Ja, das sind unfair gewählte Beispiele, ich finde auch schlankere Stimmen und bessere Aufnahmen aus der Schallplattenära. Aber in der Tendenz stimmt es dann meist doch, dass gerade mit dem Beginn der CD-Ära auch zu Hauf neue Interpretationen auf den Markt kamen, die einen ganz anderen Zeitgeschmack widerspiegeln, und ganz viele alte Aufnahmen auf einmal ziemlich verzichtbar wirken.


    Abschließend noch ein Video aus der guten alten Zeit der Schallplatte. In voller Länge zuletzt auf 3sat zu Ehren des Maestros. Ich habe es vor Fremdschämen kaum im Sessel ausgehalten.


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    Das ist m. E. so irre, aber das fand man damals irgendwie ... gut. Sage ich normalerweise nicht, aber hier stimmt es: manchmal sollte man die Vergangenheit einfach ruhen lassen.


    Parrot

  • aber das fand man damals irgendwie ... gut. Sage ich normalerweise nicht, aber hier stimmt es: manchmal sollte man die Vergangenheit einfach ruhen lassen.


    Wunderbar, nur wäre es sehr interessant, was Du stattdessen empfehlen würdest!


    die einen ganz anderen Zeitgeschmack widerspiegeln


    Der heutige Zeitgeschmack sollte dann besser sein, da muss ich allerdings ein wenig lachen.^^


    Gruß

    Reinhard

  • Der heutige Zeitgeschmack sollte dann besser sein


    Jedenfalls ist er deutlich anders.


    Wenn ich diese alten Aufnahmen höre und sehe, dann habe ich immer das Gefühl, dass die alle zum Lachen erst mal in den Keller gehen müssen. Und an der Musik auch mal Spass haben geht natürlich gar nicht. Stattdessen wird alles bedeutungsschwanger aufgeladen, mit was auch immer. Jedenfalls mit nichts, was in der Musik selbst wäre, sondern eher in der jeweiligen Zeit der Interpretation.


    Wahrscheinlich kann man ähnliches später auch mal in den jetzt aktuellen Interpretationen finden, wenn man sie in der Rückschau betrachtet bzw. anhört. Nur finde ich das gar nicht schlimm, denn dann komme ich auf meine Ausgangspunkt zurück: sie sollen mir ja genau heute etwas sagen.


    In 20 Jahren gibt es dann wieder andere Ansätze, die dann nicht mehr die heutige Spassgesellschaft widerspiegeln, sondern vielleicht dem dann auf allen Ebenen erfolgten Untergang Rechnung tragen :(


    Parrot

  • Es gab damals sehr sehr gute künstlerische Aufnahmen und heute auch. Und???


    Ich gehe sehr oft in die Wiener Staatsoper, manchmal sehr gut, manchmal grausig. Bei den grausigen wünsche ich mir dann die gute alte Zeit wieder.


    Gruß

    Matthias

  • Mit CD oder LP oder mit Tonträgern überhaupt hat das ganze hier Gesagte nicht das Geringste zu tun.


    Wer nur oberflächlich liest, hat vielleicht diesen Eindruck bekommen.


    Aber der große Wechsel der Tonträgermedien markiert m. E. auch einen Wechsel in den verfügbaren Interpretationen, wenn man sich nicht auf den Backkatalog, sondern auf Neuaufnahmen konzentriert.


    Deshalb schrieb ich ja:

    Aber in der Tendenz stimmt es dann meist doch, dass gerade mit dem Beginn der CD-Ära auch zu Hauf neue Interpretationen auf den Markt kamen, die einen ganz anderen Zeitgeschmack widerspiegeln, und ganz viele alte Aufnahmen auf einmal ziemlich verzichtbar wirken.


    Und daher haben die Präferenzen hinsichtlich der Interpretation dann plötzlich ganz konkrete Auswirkungen auf die Wahl des Tonträgers.


    Parrot

  • Gesagte nicht das Geringste zu tun.


    Das stimmt allerdings, aber man kann ja mal darüber schreiben!


    Die Beispiele von Parrot kann man nicht unbedingt als besonders aussagefähig ansehen, denn die Aufnahme mit der Dame Sutherland, scheint doch älteren Datums zu sein, außerdem denke ich, war Sutherland keine Händel-Interpretin.


    Am Jahresende 2017 hatte ich u.a. eine Mozart-Messe erlebt, nun ja, alles junge Sänger, aber keiner der Mitwirkenden hatte eine Tendenz zur Sakralmusik erkennen lassen.


    Die Doku über Hr. Karajan in 3 Sat habe ich ebenfalls gesehen, was soll man sagen, der Mann wusste, wie man sich in Szene setzt. Es gab wohl keinen anderen Orchesterleiter, welcher die Klassische Musik besser vermarktet hatte.


    Mit freundlichen Grüßen 8o

    nicht nach Zeitgeschmack

    Reinhard