Liebe und Haß
von
Wolfgang Welt
Protokoll,
zuerst erschienen 1982 in Walter Hartmann, Gregor Pott (Hrsg.): Rock Session 6. Magazin der populären Musik, Reinbek, S. 6-15.
Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Wanner Vorgruppe
Der 25. Februar 1981 war ein besonderes, fast historisch zu nennendes Datum im sonst eher provinziellen Kulturleben des Ruhrgebiets. Keine weltbewegende Peymann-Inszenierung oder die Eröffnung eines neuen Museums war zu feiern, nein, als erste New Wave-Band des deutschen Industriezentrums hatte die Vorgruppe aus Wanne-Eickel (bürokratisch seit einigen Jahren: Herne 2) eine LP veröffentlicht: „Im Herzen von Nielsen 2“.
Schon wenige Tage später lobten die Kritiker Alfred Hilsberg und Kurt Thielen, denen vorab eine Kassette zugegangen war, das Debüt in Sounds bzw. im Marabo. Am 11. April zeigte sich auch der Deutschland-Experte des NME, Chris Bohn, begeistert von „the very wonderful Herne Townfolk“. Zwar glaubte er, generell ein wenig Verzagtheit zu erkennen, doch würde die durch lebendigen Zynismus und witzigen Sarkasmus in Schach gehalten.
Bei soviel Zustimmung seitens der Presse konnte nicht überraschen, daß die vom Ein-Frau-Laden H’art vertriebene Platte alsbald auf rege Nachfrage stieß, überall in der BRD, nicht nur bei Insidern. Schnell gingen die ersten tausend Exemplare über den Ladentisch. Somit waren schon mal die Produktionskosten von ca. 4000 Mark eingespielt. Allmählich wurde die Scheibe auch in Holland, England und in der Schweiz verkauft. H´art erhielt sogar eine Bestellung von einem Sender in Manitoba/Kanada. Bis Ende April konnte die Verkaufszahl verdoppelt werden.
Zu diesem Zeitpunkt verließ Bernd „Omo“ Schäumer, einer der Mitbegründer der Vorgruppe, seine Kollegen. Das letzte gemeinsame Konzert in der LP-Besetzung fand vor einem begeisterten Publikum in der Bochumer Spelunke Underground am 26.4. statt. (...)
Single
(...) Die Jungs hatten durch Omos Bruder („Ein früher Aussteiger“), der nun in Berlin lebte, zu dem dort ansässigen Monogram-Label Kontakt bekommen. Es preßte die drei Songs „Menschenkinder“, „Liebe oder Haß“ und „Langer Abend“ auf eine Single und brachte sie in die einschlägigen Läden. Sensationell spielte John Peel in seiner BFBS-Show „Menschenkinder”, allerdings siedelte er „the Worgruppe“ in „Börlinn“ an. Hilsberg fand die Texte „nicht weit weg von Banalität, aber darin schon fast genial“. Chris Bohn stellte sie in seiner Kolumne über Mania D’s „Track 4“: „the sort of pop Soft Machine used to make before they got serious“. Die Abbildung des Covers nahm fast eine halbe NME-Seite ein.(...)
LP
Christoph Biermann kannte die Band seit ihren Anfängen. Er hatte Omo in einem Plattenladen kennengelernt, wo chb jobbte. Sie kamen ins Gespräch. Kurz und gut, chb wurde ein Fan der Vorgruppe und setzte sie auf eine Stufe mit dem von ihm angebeteten VfL Bochum. So, wie er von diesem zumindest jedes Heimspiel verfolgte, blieb er der Vorgruppe auf den Fersen. Er schrieb wiederholt enthusiastische Artikel über sie in dem damals prosperierenden Stadt-Magazin Marabo, dessen Musik-Redakteur der knapp 19jährig geworden war. Als die Band eine LP plante, griff er auf sein reichliches Taschengeld zurück (sein Vater ist HNO-Arzt), warf es mit Volkers Ersparnissen und einem Zuschuß von Klaus Uschmann zusammen, pikanterweise damals Redakteur von Marabos hart bekämpfter Konkurrenz Guckloch. Zu jenem Zeitpunkt war Uschmann nicht nur ein kenntnisreicher New Wave-Experte, sondern auch Konzertveranstalter, dem Herne gar nicht genug danken kann für die Leute, die er dahin geholt hat.
chb war es, der in der Marabo-Redaktion auf den Begriff „Nielsen 2“ kam, als er dem Anzeigenleiter über die Schulter sah.
Am Jahreswechsel 79/80 ging man also in ein 8-Spur-Studio in Herne und nahm an vier Tagen die 13 Songs auf. Das Ergebnis konnte sich hören lassen und lag für deutsche Verhältnisse weit über dem Durchschnitt. Den Vertrieb, immer eine schwierige Sache, übernahm Carola Radau, die gerade aus einem Großhandel ausgestiegen war, um ihren Spezialladen H’art am Rande der Bochumer Innenstadt aufzumachen, wo man auch längst vergriffene Sachen noch kriegen kann, aber das nur am Rande. chb lernte sie über ihren Freund kennen. Sie mochte die Musik und „wollte immer schon mal so was machen“.(...)