Project Debut Carbon - Wiedereinstieg ins Plattenhören und ein paar Gedanken dazu

  • Nach 25 Jahren Abstinenz habe ich nun auch wieder einen Plattenspieler. Die Auswahl fiel nicht leicht, zumal ich die Diskussionen um heutige „Brettspieler“ und Vergleiche mit gebrauchten Modellen aus der LP-Hochzeit aufmerksam verfolgt habe.


    Vorneweg: es wurde ein neuwertiger „Brettspieler“.


    Zu meiner Historie: Ich habe vorab drei Plattenspieler besessen:


    Einen Quand AQ45, dessen Herkunft aus heutiger Sicht rätselhaft erscheint, denn Firmenlogo und Schriftfont auf der Frontseite ähneln stark dem des Lautsprecherherstellers Quadral, der aber nie Plattenspieler produziert hat. Importeur war aber eine Fa. all-Akustik, von denen Quadral letztlich gegründet wurde. Aus Neugier damals die Bodenplatte abgeschraubt: Der Direktantrieb stammte von der Technics-Mutter Matsushita.


    Irgendwann wollte ich mich verbessern und legte mir einen testgelobten Dual CS-728 Q zu.
    Den hatte ich aber nur wenige Wochen, weil der Plattenteller stark in sich verzogen war und Dual es nicht schaffte, bei zwei Reklamationen einen Plattenteller ohne starken Höhenschlag zu liefern.


    Also das Teil zum Händler zurück und bei einem anderen Händler dann mein Leid geklagt. Der empfahl mir einen Thorens, „da blasen sie alle zehn Jahre den Staub raus und haben ansonsten Ruhe“. Es wurde ein TD 115 II mit Ortofon VMS 30 MkII. Der Händler sollte Recht behalten, weil der Thorens heute noch bei einem Freund meines Bruders seine Runden dreht, dem ich ihn verkauft habe. Mittlerweile hat das Teil also 35 Jahre ohne Reparatur auf dem Buckel. Der Bekannte rückt ihn aber nicht mehr raus, was ich verstehen kann.


    Also neu oder gebraucht?


    Natürlich kann man gebraucht Geld sparen, nur weiß man nicht, in welchem Zustand man so ein Gerät dann erhält. Meinen alten Thorens hätte ich sofort zurückgenommen, weil ich ganz genau weiß, wie pfleglich damit umgegangen wird. Ein bekannter Radio-Fernseh-Techniker hat mir auch von teils sehr problematischen Zuständen gebrauchter Geräte berichtet, die er gelegentlich auf den Werkstatttisch bekommt.
    Den potentiellen Ärger bei nur gelegentlichem Plattenhören wollte ich mir schlicht sparen.


    Jetzt also zum neuen „Project Debut Carbon Espirit“: Dieser lag noch im vorgesehen Budgetrahmen. Die Pawlow’schen Reflexe, mit denen viele Forenteilnehmer auf die komfortarmen „Brettspieler“, die man „früher nicht mal ins Kinderzimmer gestellt hätte“ reagieren, sind mir bekannt. Mein Senf dazu ist wie folgt:


    Keine Automatik?
    Ist mir Wurscht. Wenn man mal von dem Dual, der sich aus anderen Gründen selbst disqualifiziert hat, absieht, hatte ich bisher ausschließlich manuelle Plattenspieler. Ich bin es nicht anders gewohnt, bin feinmotorisch hinreichend begabt und komme blendend damit zurecht.
    Und was nicht eingebaut ist, geht auch nicht kaputt. Niemals!
    Der Thorens hatte noch eine Endabschaltung, die man bei Project nachrüsten könnte. Dass ich aber eine Platte je auf dem Teller vergessen hätte, ist mir früher schon nie passiert und künftig wohl auch nicht.


    Kein Subchassis?
    Stimmt. Aber von allen drei Spielern zuvor hatte nur der Thorens eines. Ich habe den Project auf eine schwarze Schieferplatte gestellt, die mir ein Steinmetz aus der Nachbarschaft passend zurechtgesägt hat. Sieht wirklich gut aus und wenn ich auf die Unterlage klopfe, hört man fast nichts im Lautsprecher. Kein Grund zur Beunruhigung also.


    Keine Geschwindigkeitsumschaltung?
    Stimmt auch. Aber wofür? Ich hatte früher neben einigen hundert LPs ganze drei Platten die mit 45 liefen, heute keine einzige. Falls eines Tages jemand vorbeikommen sollte, der gerne mal seine 1963er Beatles Originalsingles auf einer guten Anlage hören möchte, werde ich das Umlegen des Riemens feierlich zelebrieren, uns beide einen Lagavulin einschenken und das nicht annähernd als Belastung empfinden.


    Verarbeitung?
    Rückblickend würde ich nur dem Thorens einen solideren Eindruck zugestehen. Beim Project wackelt und klappert nichts. Den Motor hört man von Hörplatz aus auch bei völliger Stille gar nicht. Eine Kleinigkeit ist mir noch aufgefallen: Bei den alten Plattenspielern konnte man bei ausgeschaltetem Verstärker leise am Abtastgeräusch der Nadel vom Hörplatz aus die Musik erahnen. Auf so was hätte ich nicht geachtet, wenn dieses Geräusch nur hier auffallend deutlich geringer ausgeprägt wäre. Man muss wirklich die Ohren spitzen, wenn man was vernehmen möchte. Anscheinend ist die Kombination Tonabnehmer / Tonarm beim Project an sich weniger resonanzanfällig als ich das gewohnt bin. Sicher kein Nachteil.



    Wie klingt das nun?
    Meine Kinder kennen Schallplatten immerhin noch von Märchenplatten, die sie bei Oma gehört haben (über wirklich üble Lautsprecher). Dass da echtes HiFi rauskommt, fanden sie klasse und unerwartet.
    Mir fehlte es zu Beginn etwas an Feinheiten im Hochtonbereich, Mitten und Bässe waren einwandfrei. Nun sind wir aber hier in einem Metier, in welchem es Einspieleffekte mechanischer Natur nachweislich geben kann. Da braucht man also u.U. etwas Geduld. Meine Vorstufe hat laut sehr altem Stereoplay-Test eine Eingangskapazität von 125pF, also klar im grünen Bereich. Das mitgelieferte, solide wirkende Kabel ist mit 240pF unnötig hochkapazitiv und außerdem für meine Zwecke mit 1,23m unpraktisch lang. Also auf 70cm gekürzt. Ganz wie erhofft war es immer noch nicht. Gegenüber CD klang es weiterhin abgedunkelt.
    Dann die Vorstufe in Augenschein genommen und dabei feststellen müssen, dass der kleine Folienkondensator, der parallel zum Eingang liegt, tatsächlich 470pF beträgt und nicht wie im Schaltplan verzeichnet 100pF. Eiligst umgelötet – jetzt passt es.


    Rein objektiv betrachtet klingt mein CD-Player besser, aber das ist nicht der Punkt. Ich bin mit dem LP-Klang sehr zufrieden, insbesondere preisklassenbezogen und die Klangfrage stellt sich mir nicht, weil ich damit nicht besser oder schlechter höre sondern „anders“.
    „Mal eben“ in ein Stück reinhören macht man hier schlicht nicht. Ungeduldig weiterzappen, wenn ein Stück zu lange oder nicht perfekt ist, macht man nicht, weil es nicht geht. Ich höre bei LP wieder mehr am Stück statt Häppchenweise und das ist mir erst klar geworden, seit der Plattenspieler hier steht, vorher hätte ich das wahrscheinlich bestritten.
    Ein Journalist hat das mal sehr zutreffend als „Entschleunigung“ beschrieben. Man legt eine LP auf, wenn man sich bewusst eine Plattenseite lang Zeit zum Hören nimmt.
    Ich würde vermutlich mehr hören wenn, ja wenn ich mehr Platten hätte. Das sind momentan gerade mal fünf, von denen ich mich damals nicht trennen konnte plus die Jimi Hendrix „Are You Experienced“, die mir meine Kinder, ihren Papa richtig einschätzend, vorab zu Weihnachten geschenkt haben.
    Mein Bruder hat noch „einen Meter Platten“ im Keller die ich bald kriege und vermutlich erst entstauben muss. Einen guten Plattenladen nähe Münchner Ostbahnhof habe ich gestern durchstöbert und fühlte mich in beste Teenagerzeiten zurückversetzt. Es zeichnet sich schon ab, dass das Plattenhören weit mehr als wie vermutet nur „gelegentlich“ stattfinden wird.


    Hmmm, jetzt stelle ich gerade fest, dass der Beitrag deutlich umfangreicher geworden ist, als geplant.
    Vielleicht kommt etwas von dem Spaß rüber, den ich gerade habe. Der Wiedereinstig im Allgemeinen und der Project im besonderen war für mich die perfekte Entscheidung.


    Ciao,


    Uwe

  • Hallo Uwe,


    der Spaß kommt rüber und demenstsprechend ist es auch ein Spaß, den Text zu lesen. Du darfst also gerne in ein paar Wochen nachlegen und berichten, wie sich die Sammlung und die Hörpraxis entwickeln...
    Was für einen Tonabnehmer hast du denn?


    Gruß und weiterhin viel Freude
    Arnold

    aufhören, wo andere weitermachen


  • der Spaß kommt rüber und demenstsprechend ist es auch ein Spaß, den Text zu lesen. Du darfst also gerne in ein paar Wochen nachlegen und berichten, wie sich die Sammlung und die Hörpraxis entwickeln...
    Was für einen Tonabnehmer hast du denn?


    Hallo Arnold,


    Als Tonabnehmer läuft noch das serienmäßige Ortofon 2m red. Ich hatte dieses auch mal mit einem OM10 verglichen nachdem behauptet wurde, es würde sich im Wesentlichen um eine Designänderung handeln und Nadel und Generator seien gleich. Das konnte ich nicht nachvollziehen, ich empfand das 2m red speziell an den Enden des Frequenzbandes leicht überlegen, Bässe hatten mehr Fundament und Höhen kamen klarer.
    Etwas lauter ist es auch, aber das haben wir versucht, mit dem Lautstärkeregler auszugleichen
    Ein update auf das 2m blue wäre ja problemlos möglich aber so etwas lasse ich jetzt erst mal auf mich zukommen. Ich weiß noch nicht, wohin die Reise geht.


    Letzter TA im alten Thorens war übrigens ein AKG P8ES Super Nova

  • Hallo Uwe,


    herzlichen Glückwunsch zum Wiedereinstieg und viel Spaß beim Plattenhören.
    Du wirst feststellen, dass das bewusste Hören mit Vinyl dich viel mehr mit der Musik verbinden wird.


    Viel Freude beim Stöbern in den Plattenläden.


    LG Nobbi

  • Hallo Uwe,


    gratuliere zu Deiner Entscheidung!


    Einen kleinen Einwand habe ich. Du sagst. die Klangfrage stelle sich nicht. Bin mal gespannt, ob Du das in ein paar Monaten immer noch aufrecht erhältst.


    Aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, daß man irgendwann doch an Verbesserungen interessiert ist. Ansatzpunkt sind Tonabnehmer und externe Vorstufe.


    Mit welchen Boxen hörst Du?


    Gruß


    Frank

  • Hallo Frank,


    das mit dem Wunsch nach Aufrüstung will ich nicht ausschließen. Vermutlich ist es gerade der schon recht gute Klang dieses preiswerten Spielers der dafür sorgt, dass ich mich intensiver mit dem Thema befasse als ich es vorab vermutet habe und dann womöglich dazu führt, dass man „mehr“ möchte.
    Eine Qualitätsstufe darunter wäre es vielleicht ein „Alibi-Abspielgerät“ geblieben.


    Erst aber mal muss ich mir ein genaues Bild davon machen, was konkret am Klang gut oder nicht so gut ist. Tuning um des Tunings Willen ist nicht mein Ding, das soll schon zielgerichtet sein und das wird ein paar hundert Plattenseiten dauern.


    Meine Lautsprecher sind Elac 518


    Grüße,


    Uwe

  • Hallo Uwe,


    mit den Lautsprechern bist Du schon mal bestens versorgt.


    ELAC Produkte waren und sind im allgemeinen sehr hochwertig, da kann man kaum was falsch machen. Hab selbst 2 ELACdreher aus den Siebzigern in Bestzustand und auch einen neuen ELAC-TA.


    Der OM10 ist ein EinstiegsTA, den ich für wenig geeignet halte, höhenbetont, aber sehr dünn. Die anderen Ortoföner kenn ich leider nicht aus eigener Anschauung.


    Wenn der Sound zu wenig Feinheiten im Hochtonbereich bietet, empfiehlt sich ein besserer TA und/oder eine externe Vorstufe.


    Muß alles nicht die Welt kosten, bringt Dich aber deutlich nach vorne.


    Aber ich weiß, das ist Zukunftsmusik, genieße erst mal den Wiedereinstieg!


    Gruß


    Frank

  • Hallo Frank,


    Den OM10 hatte ich direkten Vergleich mit dem 2M red und mich für das teurere red entschieden.
    Im Frühjahr steht eine Renovierung des Hörzimmers an, inklusive optisch ansprechender aber auch teurer Raumakustikelemente. Dann werden die Karten neu gemischt.


    Der Hochtonbereich hat sich linearisiert, nachdem ich eine zu hohe Eingangskapazität in der Vorstufe verringert habe. Das ist von der Klangbalance her jetzt im Lot. Mein Vorverstärker (Rotel RC990) stammt noch aus der Zeit, in der die eingebaute Phonovorstufe nicht nur aus einem IC und ein paar Bauteilen bestand, sondern nimmt diskret aufgebaut etwa Postkartengröße auf der Platine ein. Das ist schon nicht schlecht.


    Grüße,


    Uwe

  • Hallo Uwe, echt klasse geschriebener Bericht über deinen Wiedereinstieg :thumbup:
    Der eine steigt ( wieder ) ein, ich bin am überlegen " Auszusteigen " , gedanklich bin ich es schon.....


    Grüße und viel Spaß
    Mike

  • Als Tonabnehmer läuft noch das serienmäßige Ortofon 2m red. Ich hatte dieses auch mal mit einem OM10 verglichen nachdem behauptet wurde, es würde sich im Wesentlichen um eine Designänderung handeln und Nadel und Generator seien gleich. Das konnte ich nicht nachvollziehen, ich empfand das 2m red speziell an den Enden des Frequenzbandes leicht überlegen, Bässe hatten mehr Fundament und Höhen kamen klarer.


    2M Red und OM10 unterscheiden sich bezüglich der elektrischen Werte. Der Generator des 2M Red hat wesentlich mehr Wicklungen auf der Spule: Die Induktivtät liegt beim 2M Red bei 700 mH (lt. Prospekt) und nicht nur bei 450 mH wie beim OM. Das Resultat: Das 2M spielt lauter und bringt spürbar mehr Bass. Steckst Du eine OM10-Nadel auf den Red Generator, dann klingt das Ergebnis mit der 10er Nadel identisch zu einer "echten" 2M Red Nadel.


    Der OM10 ist ein EinstiegsTA, den ich für wenig geeignet halte, höhenbetont, aber sehr dünn.


    Die Nadel 10 spielt schon am OM Super Generator (mit 580 mH) tonal anders als am OM Generator (ohne Super, 450 mH). Beim OM Super ist plötzlich ausreichend Bass und Volumen da.


    Es wurde ein TD 115 II mit Ortofon VMS 30 MkII.


    Das VMS30 hatte eine Fine Line Nadel. Dies entspricht dem Niveau des 2M Bronze. Du könntest also Dein 2M Red mit einer 2M Bronze Nadel aufrüsten und hättest wieder das einstige Klangniveau auch bei Deinem neuen Spieler. Lass Dir vom Hersteller nicht einreden, dass dies nicht ginge. Ich habe eine 2M Red, das genau die elektrischen Werte hat, die vom Hersteller für die Bronze und Black-Generatoren angegeben werden. Dagegen wurden in der Praxis schon reale Werte für Black-Generatoren gemessen, die den Prospektwerten von Red und Blue entsprachen. Es gibt genügend Leute, die behaupten, dass die Generatoren der 2M Familie mehr oder weniger alle identisch sind (mit Ausnahme des 2M Silver, das wiederum die elektrischen Werte des OM Super hat).


    Hier mal ein Vergleich der Bronze-Nadel an unterschiedlichen Generatoren: https://www.youtube.com/watch?v=x7eQqoQ_n7A
    Und hier der Vergleich der unterschiedlichen 2M Nadeln: https://www.youtube.com/watch?v=d-Gn39eCZ5g


    Ich denke, dass man mit allen 2M Systemen (und OM Super -Systemen) schon gut Musik hören kann und eine Menge Upgrade-Möglichkeiten hat, wenn es einen in den Fingern juckt. Lass Dir also keine Unzufriedenheit von dritter Seite einreden.


    „Mal eben“ in ein Stück reinhören macht man hier schlicht nicht. Ungeduldig weiterzappen, wenn ein Stück zu lange oder nicht perfekt ist, macht man nicht, weil es nicht geht. Ich höre bei LP wieder mehr am Stück statt Häppchenweise und das ist mir erst klar geworden, seit der Plattenspieler hier steht, vorher hätte ich das wahrscheinlich bestritten.
    Ein Journalist hat das mal sehr zutreffend als „Entschleunigung“ beschrieben. Man legt eine LP auf, wenn man sich bewusst eine Plattenseite lang Zeit zum Hören nimmt.


    Was Du beschreibst, finde ich einen echten Pluspunkt von Schallplatten. Bei mir hat das verstärkte Hören von Schallplatten auch zu für mehr Ruhe und Gelassenheit gesorgt und für eine Reduzierung der Hektik.

    Viele Grüße, Christian.


    Shibata ist keine Wintersportart.

  • Ich denke, dass man mit allen 2M Systemen (und OM Super -Systemen) schon gut Musik hören kann und eine Menge Upgrade-Möglichkeiten hat, wenn es einen in den Fingern juckt. Lass Dir also keine Unzufriedenheit von dritter Seite einreden.


    Ja, den Eindruck habe ich auch. Man ist hier klanglich schon eine Klasse über dem, was an "Fräsen" sonst manchmal in Einsteigerbereich serienmäßig zu finden ist.
    Die Bronze-Nadel kostet allerdings UVP schon 270,-€, bei Amazon 230,-€. Da kann man schon fast über ein anderes System nachdenken, hat dann aber nicht den Vorteil, dass der Justageaufwand gleich Null ist.

    Einmal editiert, zuletzt von UweM ()