Hallo!
Für den einen ist es ein Stück überholte Phono-Geschichte, für den anderen ein Klassiker, der auch heute noch keinen Vergleich zu scheuen braucht. Die Rede ist vom Ortofon Tonabnehmer-Klassiker SPU. In der Version SPU #1S ein Rundnadel-Dinosaurier mit exorbitanten 4g Auflagekraft.
Seitdem ich in meiner Jugend in den achtziger Jahren von einem Shure System mit Rundnadel auf ein Shure V15/IV umgestiegen war, kamen in allen meinen Plattenspieler Setups nur noch „scharfe Schliffe“ vor. Goldring, Scheu, Lyra und Zyx - alle meine MC-Tonabnehmer besaßen Diamanten, die schärfer geschliffen waren als eine einfache Ellipse. Nachdem ein Dr. Feickert Blackbird bei mir Einzug gehalten hatte, forderte die leere hintere Basis einen zweiten Tonarm. Die vordere war mit einem Reed 3P 12 Zoll Tonarm mit Zyx R100H Yatra bestückt worden, was sich für mich als sehr glückliche Kombination erwies. Lange habe ich überlegt, ob der zweite Platz eher einer hochauflösenden Kombination (SME309 mit van den Hul Frog) oder eher einem Klassiker gehören sollte. Ich habe mich letztlich aus dem Bauch heraus für den Klassiker entschieden und möchte hier meine Eindrücke schildern.
Hat man sich belesen und mit der Materie etwas befasst, so eignet man sich über manche Dinge eine Meinung an, die aber gar nicht auf eigener Erfahrung beruht. So hatte ich bereits eine feste Vorstellung, was mich mit einem SPU Tonabnehmer erwarten würde: Ich erwartete aufgrund der Rundnadel einen etwas höheren Störgeräuschpegel im Vergleich zum Zyx. Ich erwartete eine etwas schlechtere Auflösung und eine verringerte Fähigkeit zur Abtastung extrem kritischer Stellen. Ich erwartete ein etwas schönfärbendes, historisch anmutendes Klangbild.
Zumindest zum Teil kam es anders…
Kurz zum Setup: Das Zyx wurde am MC-Eingang des Phono-Vorverstärkers EAR324 betrieben. Dieser verwendet einen 1:10 Übertrager. Das SPU wurde mittels Ortofon ST-7 Übertrager an den MM-Eingang des EAR324 Phonovorverstärkers angeschlossen. Die MM-Eingangskapazität lag bei 47 kOhm. Der Rest der Anlage findet sich in meinem Profil.
Was legt man auf, wenn man einen Tonabnehmer testen möchte, der in den fünfziger Jahren entwickelt wurde? Natürlich zunächst einmal alte Jazzplatten. Ich begann mit dem Klassiker: Miles Davis - Kind of Blue. Die erste Überraschung war, dass die Rundnadel weder in der Einlaufrille noch während der leisen Stellen der Musik merklich mehr Störgeräusche produzierte, als das Zyx. Das hatte ich nicht erwartet. Mit dem SPU entwickelt sich die Musik mit einer enormen Dynamik aus der Stille heraus, so dass das man spontan das Gefühl hat, genau so müsse das klingen. Ich weiß nicht, ob das Geheimnis der anspringenden Dynamik darin begründet liegt, dass die Spulen des sehr niederohmigen SPU eine geringe Masse haben, während der Tonabnehmer selbst im Tonarm aufgrund der hohen Masse ein hohes Trägheitsmoment besitzt. Ich kann aber sagen, dass die Livehaftigkeit der Musik mit dem SPU ein besonderes Charakteristikum ist. Es ist ein bisschen so, wie wenn man Hörner mit konventionellen Lautsprechern vergleicht. Es hat etwas enorm Involvierendes, der Klang springt einen förmlich an.
Es folgten diverse weitere Jazzplatten der Sechziger und frühen Siebzigerjahre. Einige Forenteilnehmer haben sich in früheren Diskussionen an dem Begriff „musikalisch“ gestört, wenn es um die Beschreibung technischer Geräte geht. In der Tat kann ein technisches Gerät natürlich nicht „musikalisch“ im eigentlichen Sinne sein. Tatsächlich hatte ich aber gerade bei Blasinstrumenten wie dem Saxophon (ich spiele selbst laienhaft etwas Altsaxophon) manchmal das Gefühl, als würden die Musiker schöner und mit mehr Gefühl spielen. Das SPU lenkt die Aufmerksamkeit mehr auf die emotionalen Aspekte der Musik als auf die Details. In den ersten Tagen mit dem neuen Tonabnehmer hatte ich daher ehrlich gesagt gar keine große Lust auf Vergleiche mit dem Zyx. Ich habe viele alte Jazzplatten gehört und einfach Spaß an der Musik gehabt. Irgendwann kam dann doch die Frage auf, ob das SPU denn tonal ganz anders reproduziert als das Zyx. Ich begann daher bei parallel laufenden Systemen und verschiedenster Musik umzuschalten. Die Frequenzgänge der beiden Setups scheinen sich nicht großartig zu unterscheiden: Kein System klingt wesentlich brillianter oder verhaltener, bassbetonter oder blutleerer. Auch konnte ich dank der variablen Verstärkung des EAR324 die zwangsläufig vorhandenen Lautstärkeunterschiede beider Systeme für den Vergleich sehr gut angleichen. Ich bin dann im Weiteren zunächst beim Jazz geblieben, habe mich mehr in die Siebzigerjahre vorgetastet. Chick Corea und Gary Burton sind mit „Crystal Silence“ auf ECM immer ein guter Prüfstein für die Hochtonabtastfähigkeit. Hier hatte ich erwartet, dass das SPU insbesondere im Bereich der Innenrillen deutliche Schwächen der Hochtonabtastung zeigt. Weit gefehlt: Das SPU hat diese wirklich schwierige ECM Platte absolut sauber reproduziert, gerade Gary Burtons Vibraphon zeigte für mich keinerlei hörbare Abtastverzerrungen, auch nicht im besonders kritischen Bereich der Innenrillen. Im direkten Vergleich der beiden Systeme wird jedoch deutlich, dass die Hochtonauflösung des Zyx etwas höher ist. Das Vibraphon klingt etwas metallischer, durchsichtiger, etwas ätherischer. Das merkt man aber ehrlich gesagt nur im direkten Vergleich. Hätte ich nur das SPU, mir würde an Hochton-Information nichts fehlen. Ein deutlicher Unterschied zeigt sich dagegen in der dreidimensionalen Darstellung: Während das Zyx einen breiten und sehr tiefen Raum aufspannt (die dreidimensionale, geradezu holographische Darstellung ist meines Erachtens eine besondere Stärke des Zyx) so spielt das SPU mehr nach vorne, bei guter Staffelung in die Breite. Bei einem Jazztrio fällt das nicht ins Gewicht. Bei gut aufgenommener Symphonik fehlt mir jedoch bei dem SPU minimal etwas bei der Raumtiefe. Der nächste musikalische Wechsel führte mich zur Kammermusik: Das Musikalische Opfer von Johann Sebastian Bach in der famosen Einspielung der Musica Antiqua Köln war erstaunlicherweise ebenfalls mit dem SPU zu genießen. Es ist also kein Tonabnehmer ausschließlich für alte Jazzplatten. Ich gebe aber zu, dass mir die etwas bessere Auflösung und genauere Rauminformation des Zyx dabei doch noch etwas besser gefallen hat. Der Härtetest in Sachen Abtastfähigkeit ist für mich immer die Box Nr. 3 aus der Beethoven Edition (Kammermusik für Bläser). Hier zeigt insbesondere die Querflöte von Karl-Heinz Zeiler in der Serenade Opus 25 in der Ausgabe der deutschen Grammophon Gesellschaft, ob ein Tonabnehmer korrekt justiert ist und in der Hochton Abtastung ausreichend leistungsfähig. Was habe ich mich früher mit dieser Platte gequält: Sei es mit dem Goldring MM1044 auf dem Rega P3 oder mit dem Scheu MC im Cantus auf dem Premier. Erst ein Lyra Delos im Graham oder mein aktuelles Zyx im Reed vermochten die lauten Stellen der Querflöte insbesondere in den inneren Rillenbereichen absolut verzerrungsfrei abzutasten. Ich hatte nicht wirklich erwartet, dass das SPU dieses auch schafft. In der Tat war jedoch das Klangerlebnis völlig makellos. Damit reiht sich das SPU bei mir in die Riege derjenigen Tonabnehmer ein, die auch schwierigste Aufnahmen verzerrungsfrei abtasten können, was ich angesichts der historischen Rundnadel nun so überhaupt nicht erwartet hatte.
In den nächsten Tagen hörte ich vermehrt Frank Zappa, Steven Wilson, King Crimson, Roger Waters. Es stellte sich für mich das seltsame Gefühl ein, dass das SPU dann besonders stimmig klingt, wenn Schallplatten der fünfziger, sechziger und frühen Siebzigerjahre auf dem Plattenteller landen. Je moderner die Musikproduktionen sind, desto eher tendiere ich zum Zyx. Dies gilt übrigens für Rock/Pop/Jazz ebenso wie für Klassik. Mir scheint, das SPU kann das Klangideal früherer Jahrzehnte einfach glaubhafter reproduzieren, während modernere Abtaster besser mit dem zurechtgekommen, was heutige Toningenieure kreieren. Ich werde also wohl in Zukunft vor allem die älteren Aufnahmen mit dem SPU abhören und die neueren Aufnahmen mit dem ZYX.
Braucht man wirklich beide?
Nein. Wenn ich nicht den direkten Vergleich hätte, könnte ich mit dem SPU im Schick absolut glücklich sein. Wenn man jetzt berücksichtigt, dass die Kombination Schick / SPU nur die Hälfte der Kombination Reed / Zyx kostet, ist dies schon ein wirklich erstaunliches Ergebnis. Auch in den 50ern konnte man offenbar bereits richtig gute Tonabnehmer bauen. Schön, dass es auch heute noch Leute gibt, die dafür passende Tonarme entwickeln.
Viele Grüße
Sebastian