Quarantäne - wenn schon dann mit guter Musik

  • (Fortsetzung.)


    Nun etwas Italienisches, und zwar von Gioacchino Rossini. Ebenfalls rein instrumental (wie allgemein gewünscht), ebenfalls ein Frühwerk: Als Zwölfjähriger (!) hat Rossini sechs Sonaten für Streicher geschrieben, aber er hat nicht wie Wagner einem Vorbild nachgeeifert, sondern es sind schon die für ihn typischen "Rossinismen" zu erkennen. Gehört definitiv in die Grundsammlung jedes ernsthaften Klassikhörers. Und zum Glück gibt es auch etliche Einspielungen, von denen ich keine expressis verbis hervorheben möchte: Sie treffen alle die Tonsprache Rossinis.


    Gut ein Jahrhundert später, ebenfalls in Italien, wurde ein weiterer Italiener mit einigen sinfonischen Dichtungen sehr bekannt: Ottorino Respighis Fontane di Roma waren die instrumentale Antwort auf die damals in Italien herrschende Übermacht der Oper: Die vier Sätze fanden einige Jahre später in den Pini di Roma und den Feste di Roma Schwesterwerke, die sich stilistisch ähneln und oft gemeinsam aufgeführt werden. Es finden sich klassizistische Einflüsse wie bei Rimsky-Korssakow (bei dem R. einige Zeit studierte) und impressionistische Einflüsse wie bei Ravel, aber bleibt grundsätzlich einer italienischen Tonsprache verbunden.


    Ein klassischer Hit, darum fehlt es auch hier wieder nicht an Einspielungen. Eine der Aufnahmen, die den Stil von Respighi am besten treffen und zudem Stereoanlagen mal so richtig fordern, wird die von Riccardo Muti und dem Philadelphia Orchestra sein.


    Wenn man an Tondichtungen denkt, fällt einem meistens sofort die Moldau von Bedrich Smetana ein, die als Archetyp musikalischer Landschaftsbilder gilt. Vor einiger Zeit habe ich entdeckt, dass Böhmen genau diametral gegenüber (von Deutschland aus gesehen), also in den Niederlanden, sich ebenfalls jemand an einem nationalen Tongemälde versucht hat: Der Niederländer Bernard Zweers hat seiner Sinfonie Nr. 3 den Beinamen Aan mijn vaderland gegeben. Die vier Sätze heißen "In Hollands Wäldern", "Auf dem Land", "Am Strand und auf See" und "An die Hauptstadt". Damit hat Zweers weniger eine Sinfonie geschaffen, sondern einen Zyklus, der Smetanas "Ma vlast" ("Mein Vaterland") auch in der musikalischen Qualität vergleichbar ist.


    Bernard Zweers ist selbst in den Niederlanden kaum bekannt. Es gibt nur eine einzige Aufnahme mit den "Den Haager Philharmonikern" unter Hans Vonk, die aber absolut hörenswert ist. Leider kein Sonderangebot....


    Auch kaum bekannt ist der Franzose Albéric Magnard. Aus wohlhabendem Hause stammend, mußte er als Komponist keine Kompromisse eingehen, und sein musikalisches Werk ist relativ klein, aber meisterhaft. Tragischerweise ist er Opfer seines Nationalstolzes geworden: Anfang des ersten Weltkriegs hat er auf deutsche Soldaten geschossen, die auf sein Anwesen in der Nähe von Paris eindrangen. Dafür haben sie sein Haus angezündet, und mit ihm sind auch viele seiner unveröffentlichen Werke in den Flammen umgekommen. Seine Sinfonien sind jedoch erhalten geblieben, und besonders seine letzte, die Sinfonie Nr. 4 cis-moll, zeugt von einer Qualität, die einen Vergleich mit Cesar Franck oder Gustav Mahler nicht scheuen muss. Auch sind Einflüsse von Fauré und Debussy erkennbar, aber trotzdem hatte er einen eigenen, unverwechselbaren Stil.


    Netterweise gibt es von der Vierten trotz der geringen Bekanntheit des Komponisten mehrere Einspielungen (nicht nur aus Frankreich), von denen die Aufnahme mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra unter Jean-Yves Ossonce die spannendste ist. Zusammen mit den anderen ebenso gelungenen Sinfonien ist die Aufnahme als preisgünstige Doppel-CD verfügbar.


    Schließen wir den Zyklus, wie wir ihn begonnen haben: mit Amerika. Diesmal zu einem gebürtigen Ami, und ich bin überrascht, das er hier noch gar keine Erwähnung fand. Dabei hat er (im wahrsten Sinne des Worts) zahlreiche Hits komponiert, und seine Bemühungen, als klassischer Musiker ernst genommen zu werden, haben einige reife Früchte getragen. George Gershwins Klavierkonzert in F dürfte neben der jazzsinfonischen Rhapsody in blue und der (abermals) Tondichtung Ein Amerikaner in Paris sein instrumentales opus magnum sein.


    Aufgrund seiner Popularität gibt es viele gute Aufnahmen dieses Werks. Eine Nasenlänge besser als die anderen hochklassigen Aufnahmen finde ich diejenige mit André Previn und dem London Symphony Orchestra, die gemeinsam mit den beiden anderen genannten "Reißern" auf einer preisgünstigen CD erhältlich ist.

    Gruss,


    Hendrik
    ---
    Die Schallplatte ist das Tollste, auf das sich je eine Nadel gesenkt hat, seit Marilyn Monroe gegen Pocken geimpft wurde.
    ---
    Mitleid ist die subtilste Form der Verachtung, und Neid die plumpeste Form der Bewunderung.

  • Hrpff... die Liste mit meinen Vorschlägen für "gute Musik" [irgendwie liebe ich diesen anachronistischen Ausdruck, den man noch vor fünfzig Jahren gerne verwendete, wenn von klassischer Musik gesprochen wurde] umfasst zwar nur neun Titel, ist aber mit den dazugehörigen Ausführungen so lang geworden, dass sich die Forensoftware geweigert hat, sie in einem einzigen Beitrag zu akzeptieren. Die Auswahl habe ich sehr ernst genommen, um neben gefälliger Hörbarkeit (und das sind alle genannten Werke) auch einem hohen musikalischen Anspruch gerecht zu werden, ganz im Sinne des einleitenden Mozart-Zitats. Auf die Reaktionen hier bin ich schon sehr gespannt. Sollten sie weitgehend positiv ausfallen (und die Pandemie noch deutlich länger anhalten, was ich jedoch nicht hoffe), gibt es noch eine B-Liste, das meiste ähnlich gefällig, z.T. aber auch schon etwas spezieller. Auch ein "Wunschkonzert" biete ich an: "Das und das hat mir gut gefallen, gibt es da etwas Ähnliches?" kann ich gerne bedienen.

    Gruss,


    Hendrik
    ---
    Die Schallplatte ist das Tollste, auf das sich je eine Nadel gesenkt hat, seit Marilyn Monroe gegen Pocken geimpft wurde.
    ---
    Mitleid ist die subtilste Form der Verachtung, und Neid die plumpeste Form der Bewunderung.

  • Also kurz zusammengefasst lautet die Liste von Hendrik:


    Dvorak – op. 96 & 97

    Mozart – Sinfonia concertante Es-Dur KV 364

    Beethoven – Klavierkonzert D-Dur op. 61

    Wagner – Sinfonie C-Dur

    Rossini – Sonaten für Streicher

    Respighi – Fontane di Roma

    Bernard Zweers – Sinfonie Nr. 3

    Albéric Magnard – Sinfonie Nr. 4

    Gershwin – Klavierkonzert in F

    Viele Grüße


    Steffen

  • Nee, Schriftsteller nicht. Gut, es gibt ein bisschen Fachliteratur von mir, wie es sich für einen wissenschaftlich ausgebildeten Menschen gehört. Aber in Musikjournalismus habe ich bislang noch nicht dilettiert.


    Und Steffen hat alles, was ich in mehr als 10.000 Zeichen verfasst habe (das ist offensichtlich der Wert, den die Forensoftware als Maximum für einen Beitrag erlaubt), kurz zusammengefasst. Vielleicht habe ich doch "zuviel geredet"?

    Gruss,


    Hendrik
    ---
    Die Schallplatte ist das Tollste, auf das sich je eine Nadel gesenkt hat, seit Marilyn Monroe gegen Pocken geimpft wurde.
    ---
    Mitleid ist die subtilste Form der Verachtung, und Neid die plumpeste Form der Bewunderung.

  • Von der Liste habe ich trotz umfangreicher Sammlung nur Beethoven und Respighi.


    Bei Dvorak hätte ich op 92 und 95.

    Böse Menschen haben keine Lieder, aber häufig eine Stereo-Anlage.


    Robert Lembke


  • Von der Liste habe ich trotz umfangreicher Sammlung nur Beethoven und Respighi.

    Überrascht mich nicht. Die meisten Stücke, die in der Liste sind, habe ich auch nicht mit der Muttermilch zu mir genommen, sondern erst im Laufe des musikinteressierten Teils meines Lebens kennengelernt. Und wie schon erwähnt: Davon ist vieles weniger bis kaum bekannt. (Und das infolgedessen einige Investitionen getätigt werden müssen, habe ich prophezeit.)


    Aber das Schöne an Musik ist, dass einem ständig etwas Neues über den Weg läuft. Beispiel: Vergangenen September waren meine Frau und ich ein paar Tage in Dresden, und anläßlich einer "musikalischen Führung" in der Frauenkirche wurden auch einige Orgelwerke dargeboten - u.a. von einem gewissen Gerard Bunk. Bis dahin: nie gehört, den Namen. Aber umso eindringlicher fand ich die "Legends", die zum Vortrag kamen. Nach Hause gekommen, machte ich mich auf die Suche und fand eine einzige CD mit (wenigen) Orgelstücken... Die war eigentlich auch in der weiteren Auswahl, empfand ich aber doch als zu speziell für die Quarantäne-Liste: Orgel solo ist nicht jedermanns Sache, und ein Werk von gerade mal 15 Minuten ist einfach zu wenig für ein abendfüllendes Programm. Okay, auf der CD sind noch Werke von J.S.Bach und - den nur wirklichen Orgelkennern bekannten - Louis Vierne und Louis Lefebure-Wely. Bis September nie etwas gehört von Mijnheer Bunk. Jetzt befindet sich die CD in meiner Sammlung...


    Umgekehrt gibt es auch Entdeckungen, die ... na, sagen wir: singulär sind. Die in der Liste erwähnte Sinfonie "Aan mijn vaderland" hat mich veranlasst, nach weiteren Werken von Bernard Zweers zu suchen. Es ist wenig zu finden, selbst bei intensiver antiquarischer Suche, und selbst in den Niederlanden (mein Mutterland übrigens. Das Vaterland ist Deutschland). Das wenige, was ich gefunden habe, ist - zusammengefasst - der Kenntnis nicht wirklich wert. Alles ledern und spröde. Nur die genannte dritte Sinfonie sticht aus der mäßigen Qualität des übrigen Werks deutlich hervor.

    Gruss,


    Hendrik
    ---
    Die Schallplatte ist das Tollste, auf das sich je eine Nadel gesenkt hat, seit Marilyn Monroe gegen Pocken geimpft wurde.
    ---
    Mitleid ist die subtilste Form der Verachtung, und Neid die plumpeste Form der Bewunderung.

    Einmal editiert, zuletzt von RealHendrik ()

  • Hendrik!

    Deine Ausführungen ---Klasse---Bienchen + *****


    Ahoi


    Jürgen

    Alles was Spaß macht ist entweder "unmoralisch","macht dick" oder ist "zu teuer!!!"

    (War da etwa Haschisch in dem Schokoladenei)

  • Wow, wieder eine Doktorarbeit, die aber Spaß macht zu lesen. Und das Interesse weckt. Mir geht es ähnlich wie Arkadin. Trotz einer großen Sammlung besitze ich hier nur Mozart, Respighi und Gershwin. Dachte ich am Anfang noch, "haste bestimmt", zeigte ein Blick in die Sammlung dann ein klares: "Nope". (Heißt also, das ist kein Pop??? 😉)

    Leider ist die Liste im Moment ja schon bis zum 18.06. gesetzt. Und dann werden wir bestimmt keine neun Klassikabende hintereinander feiern. Wir könnten jedoch schonmal direkt am 19.06. eines setzen.

    Auch stellt sich mir die Frage, wie viele hier die Werke kaufen (oder streamen, wenn überhaupt möglich) werden. Es würde mich freuen, wenn die meisten dabei wären.


    Für die Arbeit gebührt Dir jedenfalls mein Respekt! 👏👏👏

    Grüße

    Daniel

  • Dachte ich am Anfang noch, "haste bestimmt", zeigte ein Blick in die Sammlung dann ein klares: "Nope". (Heißt also, das ist kein Pop??? 😉)

    Pop kommt ja von populär, wenn niemand das hat ist es ganz sicher kein Pop! 8)

    Böse Menschen haben keine Lieder, aber häufig eine Stereo-Anlage.


    Robert Lembke


  • Mal eine Idee wie man beide Ziele, das gemeinsame Hören mit möglichst vielen

    Teilnehmern und die Erweiterung des eigenen musikalischen Horizontes unter

    eine Hut bekommen könnte:


    Erweiterung des Programms auf 2 Platten pro Abend, eine populäre die viele

    kennen und haben und als Encore ein eher unbekanntes Werk welches an das

    andere anschliesst. Also z.B.:


    Keith Jarret Köln Concert, wer das mag dem gefällt vermutlich auch Wolfgang

    Dauner - Solo Piano oder Bill Evans


    Wem Brubecks Take Five nicht gefällt der kann sicher mit Miles Davis

    erst recht nichts anfangen


    Gefallen die Goldberg-Variationen von Glenn Gould könnte es mit Arturo

    Benedetto Michelangeli oder Ivo Pogorelich weitergehen


    Wer Jackson Browne mag den begeistert sicher auch Warren Zevon.


    Wer Bob Marley - Confrontation mag dem könnte vielleicht sogar UB40 gefallen.


    Einfach mal spontan zur Diskussion gestellt.

    Böse Menschen haben keine Lieder, aber häufig eine Stereo-Anlage.


    Robert Lembke


  • Ich sehe im Moment eigentlich kein Problem.

    Die neun Vorschläge sind doch innerhalb von fünf Wochen "verarbeitet".

    Dann haben wir Ende Juli die Klassikliste aufgebraucht.

    Wenn ich das richtig überblickt habe, bin ich mit Qobuz bestens versorgt.

    Da sollte jedes Album verfügbar sein.


    Zwei Alben pro Abend würde ich nicht nehmen.

    Im Moment hören die meisten ja sowieso noch zusätzlich Musik.

    Ich finde es schon aufwändig genug, eine Liste mit lediglich einem Album pro Abend zu erstellen, die den meisten auch halbwegs zusagt.

    Viele Grüße


    Steffen

  • Ich würde es auch bei einem Album belassen. Sonst artet das ganze noch in Stress aus. Sowohl zeitlich, als auch die Besorgung. Und es ist ja auch jedem gestattet noch ein oder zwei Alben mehr zu hören. Wer vom "Geklimpere" des Köln Konzerts E-Gitarren zum resetten benötigt, kann das gerne hören. Und wer danach Lust auf mehr hat wird ein weiteres Keith Jarrett Album o.ä. genießen.


    Aber trotzdem ein netter Gedanke, um weiter in die Musik einzutauchen. Mann kann hier ja einfach bei Neuentdeckungen fragen, was dazu passen könnte. Die Johnny Cash - American IV ist zum Beispiel von mir danach bestellt worden.

    Grüße

    Daniel

  • So, es ist angerichtet. Soeben Vinyl mit sanfter Jazzgitarre gehört. Nun geht es gleich ähnlich weiter vom NAS. ;)


    Heute mittag war ich wieder panisch Öl kaufen. Der Vorrat war leer!!! =O=O=O

    Das dunkle Alkfrei ist auch klasse.

    Dieses ist leider nicht im Sortiment. Dann muss es eben alkbehaftet bleiben. Ich war gewillt...

    Grüße

    Daniel