Hallo zusammen.
In meiner Heimatstadt gab es Anfang der 80er vier Plattenläden, dazu kamen große Vinylsektionen beim Karstadt oder anderen Elektronik-Geschäften. Besonders war aber ein kleiner Laden in der Altstadt, der viel von den Beatles hatte und seltsamerweise auch jede Menge davon aus italienischer Pressung. Daher hab ich nicht WITH THE BEATLES sondern I FAVOLOSI BEATLES, und auch einige der Singles aus der GREATEST STORY-Reihe mit den kunterbunten Covern.
Hinter dem Tresen war ich für die nette, ältere Inhaberin schon bald das Beatles-Kind. Über dem Tresen, auf einem Podest an der Wand, stand schon immer ALL THINGS MUST PASS. Erhaben präsentiert und mit DM 34,90 für mich unerschwinglich. Aber irgendwann hatte ich das Geld zusammengespart, trat vor zur Theke, deutete auf das Triple-Album und sagte mit fester Stimme: „Ich hätte gerne das George Harrison-Album da oben!“. Das wurde mit einem anerkennenden Nicken quittiert und dann hielt ich endlich das sagenumwobene Werk in den Händen.
Heute weiß ich, dass es eine deutsche RI mit C072-Nummer ist, mit Poster, aber leider ohne die schönen Lyric-Innersleeves. Das Preisschild habe ich vergeblich versucht ohne Spuren abzulösen, da ist jetzt der typische Abriss zu sehen und auf der anderen oberen Seite prangt immer noch stolz mein Namensstempel.
Ich fand die Musik damals aufregend, geheimnisvoll, da passierte so viel auf einmal, ich konnte gar nicht alles heraushören. Und auch Harrison war mir damals etwas unheimlich mit dem langen Bart und so wie er auf dem dunklen Riesenposter schaute. Und wie alle, habe ich die Seiten 5 und 6 genau einmal im Leben gehört. Zumindest bis letzte Woche. Ein drittes Mal wird es nicht geben
Für mich hat also ALL THINGS MUST PASS eine Historie, ich habe es kurz nach Lennons Ermordung gekauft, vielleicht war ich da 11 oder 12, jedenfalls in den ganz frühen 80ern und seitdem ist für mich fast alles an dem Album ikonisch… nicht nur das Cover.
Im Lauf der Jahrzehnte wurde viel über die Spector-Produktion diskutiert. Harrison selbst schrieb in den Liner-Notes zur 30th Anniversary Edition, dass es schwer war der Versuchung zu widerstehen, jeden der Songs neu zu mixen und ihnen den Ballast der Wall of Sound zu nehmen. Tatsächlich ist die 30-Jahr-Edition bis heute diejenige, die am deutlichsten vom originalen Mix abweicht. Dementsprechend groß war übrigens damals die Kritik an dem durchgelüfteten Remaster.
Es folgten Ausgaben vom 40jährigen und noch mindestens eine weitere zum damaligen großen Harrison Box-Set.
Bis auf die 30th gab es bislang keine Bonustracks, aber das hat sich der 50th Anniversary Edition nun geändert. In diversen Formaten und Umfängen offeriert, kann sich nun jeder entscheiden, inwieweit er denn nun in ALL THINGS MUST PASS mal wieder eintauchen möchte… wenn überhaupt.
Ich habe mich für die Super Deluxe Vinyl-Box mit 8 LPs entschieden und dazu dann jetzt auch endlich die Rezension. Auf dem Cover prangt ein kleiner Sticker „New Mix by Paul Hicks“, was zunächst mal erfreulich klingt, denn immerhin hat der es geschafft, Imagine und Plastic Ono Band aufzufrischen, ohne den Liedern ihre Kraft und Drive zu rauben.
Im Internet ist bereits ein Wirbelsturm der Entrüstung bzgl. des Hicks-Remixes ausgebrochen, was zu erwarten war, sobald man Heilige Gräle verändert. Fragt mal Giles Martin. Als Wortführer haben sich Bobbie Whitlock und der unvermeidliche Michael Fremer etabliert, die beide den neuen Mix verdammen und tatsächlich mag man zumindest Fremer zustimmen, der behauptet, dass Hicks vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen hat und er einen bassbetonten, langweiligen Mix ohne schimmernden Glanz der Höhen abgeliefert hat. Das Album klingt gar nicht so anders als das Original, aber komprimiert und angestrengt. Es ist tatsächlich eine Erlösung, nach dem Remix mal das Original aufzulegen. Und dennoch: die "Geisterstimme" in Ballad of Sir Frankie Crisp mal deutlicher zu hören, ist schön gelungen...
Schon bei der Harrison-Vinyl-Box fiel mir der betont warme, muffige Klang der frühen Alben auf. Vielleicht versteht Dhani Harrison das unter Vintage Sound.
Entzückend hingegen das (ungemasterte) Bonus-Material auf 5 weiteren LPs. Da gibt es sämtliche Demos des „Tag 1“ mit Ringo und Klaus Voorman im Trio eingespielt, ebenso des „Tag 2“ mit wechselnder Besetzung und ganz bezaubernde alternative Takes. Alles ohne Spector-Sound, was noch einmal aufzeigt, welche grandiose Songs Harrison hier parat hatte. Unverzichtbar.
Als Beilage gibt es ein Hardcover-Buch mit den üblichen „unveröffentlichten“ Fotos, Details zu jedem Song und ein „Interview“ mit Hicks und Dhani Harrison, was genauso nichtssagend und unverbindlich ist, wie den Mix, den sie da verbrochen haben.
Apropos verbrochen… seit die Beatles Universal gehören, werden die Solo-Fabs munter bei GZ Media gepresst (im Gegensatz zur Band, deren Deluxe Editions noch immer von Optimal kommen). Darunter litten schon die neuen Lennon VÖs und nun auch ATMP. Auch wenn man es zunächst gar nicht glauben mag, dass ALLE Platten tatsächlich in zusätzlichen gefütterten Sleeves stecken… an der mittelmäßigen Pressqualität ändert das nichts. Ich hatte noch Glück, Knistern und Höhenschlag halten sich im Rahmen, aber auch da gibt es bereits schlimme Berichte im Netz. Für die gesalzenen Preise sollte man ein gewisses Maß an Qualitätskontrolle erwarten dürfen. Das alte Lied.
Also… lohnt sich ATMP im 50er Kleid… ?
- Nur für den Remix: NEIN
- für die Demos und Alternatives: JA
- Ist es zu teuer: JA
But afterall, you know… it‘s George!
LG Tobias