It was August, Summer of eighty-two
Es ist August 2022, just 40 Jahre danach. Den rostigen, alten Wagen von damals habe ich schon längst nicht mehr. Das ziellose, schnelle, harte Herumfahren in abgelegenen Ecken habe ich mir im Laufe der Zeit auch abgewöhnt – schade, eigentlich. Nun aber leben diese Erinnerungen an die Erinnerungen, diese Metaebenen, dank der Vinyl-Auflage des Albums Bright Red von Laurie Anderson wieder auf.
Schon einmal traf mich das Album mit voller Wucht – bei der Erstveröffentlichung 1994. Das tat es sogar gleich zweimal: als Kunstwerk und als bis zum Unerträglichen geballte Emotion. Emotion? Bis dahin zeigte sich doch die Ausnahmekünstlerin mal ironisch, mal überintellektualisierend, wandelte experimentell bis poppig durch alle Genres – stets distanziert, unnahbar, dann und wann wiederum unnötig esoterisch, manchmal auch recht verklausuliert, ohne passenden Schlüssel hard to comprehend.
Did she fall or was she pushed?
Auf Bright Red kommt plötzlich eine andere Laurie Anderson zum Vorschein: emotional, düster, verletzlich, verzweifelt – es zeigt sich aber auch, sehr zurückhaltend und vorsichtig, eine zärtliche Seite. Der subtile Humor ist immer noch da – doch nicht mehr zum Kaschieren und Distanzieren, sondern gewissermaßen als letzte Rettung. Das alles trägt die Künstlerin ungewöhnlich offen zur Schau – auf einem dichterisch wie musikalisch ganz neuen Niveau. Die Musik verabschiedet sich von dem poppig-funkigen Einschlag des vorherigen Albums und schlägt den Bogen – unter sorgfältiger Beachtung der Zeitdilatation – zum avantgardistisch-rockigen Debütalbum Big Science zurück. Das ist nichts mehr zum mal-eben Mithören, dieser Musik wendet sich der Zuhörer entweder voll und ganz zu – oder er ist kein Zuhörer und die Musik bleibt ihm verschlossen. Gut so.
Now about the residents of the Puppet Motel
Dies allgegenwärtige Zerbrechliche war schon deshalb so überraschend, weil Anderson in der Zeit ansonsten auf der Allzeit-Höhe ihrer schöpferischen Wanderungen angekommen schien. Unter anderem arbeitete die Künstlerin zusammen mit dem jungen taiwanesischen Medienkünstler Hsin-Chien Huang an Puppet Motel – einer wahnsinnigen Mischung aus Adventure-Game, Kopfzerbrecher, Quiz-Show und musikalischem Versteckspiel. Gleich nach seiner Erstveröffentlichung 1995 (CD-ROM, vorerst nur für Mac) kürte die Kritik und das Publikum Puppet Motel einstimmig zu dem Multimedia-Ereignis überhaupt – zu Recht. Wer die (auch und vor allem technische) Möglichkeit hat, sollte sich die CD-ROM genauer anschauen. So sahen die Multimedia-Anfänge aus. Nicht immer einfach, aber die Mühe lohnt!
Die CD-ROM enthält, teils gut verborgen, mehrere Songs aus Bright Red und zitiert immer wieder aus dem Album. Kein Wunder bei der Qualität der Musik. Neben der Chefin herself liest sich die Liste der Musiker auf Bright Red wie das Who-is-Who der damaligen Avantgarde: vom Schweizer Komponisten Peter Scherer über John-Zorn-Weggefährten Joey Baron (dr) und Guy Klucevsek (acc) bis hin zu dem Produzenten des Albums, dessen Name auf dem Sticker der Vinyl-Edition nun so süß-freudianisch verdreht wurde.
Von dem damaligen Lebensgefährten von Laurie, Lou Reed, ganz zu schweigen. Der konnte noch nie singen und diesem Markenzeichen bleibt er auch im Duo mit Laurie treu.
Secret codes and cryptograms
So, genug des historischen Umrisses. Vielleicht noch das: Bright Red wurde, was damals immer noch nicht selbstverständlich war, nicht mehr auf „LP und MC“ veröffentlicht, sondern nur noch auf CD. Das passte in die Zeit – die LP war für tot erklärt, so eine Leiche passte nicht mehr zum durch und durch zukunftsweisenden Ansatz des Werkes.
Ich vermute, dass es ursprünglich anders geplant und eine LP vorgesehen war. Warum sonst ordnet sich das Album, auch auf der CD klar gekennzeichnet, in zwei in etwa gleich lange Blöcke? Diese heißen entsprechend Bright Red und Tightrope. Warum sie so heißen, finde der geneigte Hörer selbst heraus – und das ist nur eine der einfacheren Denksportaufgaben auf diesem rätselhaften Album. Keine Sorge, Bright Red ist trotzdem das mit Abstand am leichtesten zugängliche Werk von Anderson. Was nicht bedeutet, dass es nicht voller chiffrierter Nachrichten wäre…
I can hear the two of you playing records
Nun ist Bright Red, nach rund 28 Jahren, zum ersten Mal als Vinyl zu haben. Passenderweise in klarem Rot – wie denn sonst? Die Aufmachung lässt – abgesehen von dem Vertipper auf dem Sticker – keine Wünsche offen. Es sollen gerade mal 3.000 nummerierte Exemplare davon erhältlich sein. Ist die zu erwartende Nachfrage wirklich so gering?
Egal. Es geht – nun mach doch endlich! – um die Musik, um das Hören: wie klingt das Ganze auf dem neuen, alten Medium? Ab auf den Majik damit.
Bereits beim ersten Stück, Speechless, bemerkte meine Frau, die das Album fast genauso auswendig kennt wie ich, dass sie auf einmal den Text komplett versteht. Gut, meine Liebste hat an ihren English skills mit der Zeit immer weiter gefeilt – doch alleine daran liegt es nicht. Tatsächlich sind auf der LP die Mitten sehr gut aufgelöst. Nicht, dass andere Spektren darunter litten: was an der LP auffällt, ist ihre klangliche Unauffälligkeit. War schon die CD exzellent produziert, ist es die LP auf ihre eigene Weise ebenso.
Bewusst habe ich mir die, meines Erachtens wegen Subjektivität nicht sinnvollen, A-B-Hörvergleiche erspart. Vinyl-typisch haben einige Drums mehr Trommelfell, Bass mehr „Fleisch“, die Saiten einen kaum wahrnehmbaren Schimmer. Die Instrumente stehen wunderbar im Raum herum, die Stimmen (so denn nicht allzu vervocodert) auch. Vielleicht aber bilde ich mir das alles sowieso nur ein. Abgesehen von dem Sprech/Gesang, der/das tatsächlich – auch für meine nicht mehr so jungen Ohren – klarer wahrnehmbar ist als auf der CD. Ganz und gar nicht eingebildet ist auch der tiefschwarze Hintergrund – so deutlich habe ich es noch nie gehört bzw. nicht gehört.
You know the little clock, the one on your VCR
Technisch gibt es keine Beanstandungen. Die 180-g-Scheibe zeigt keine Verarbeitungsmängel, die Pressung klingt „out of the sleeve“ fast schon irreal sauber. Apropos Sleeve, die innere doppelschichtige Hülle ist recht hochwertig – heutzutage immer noch eine Seltenheit. Das auf dem Sticker beworbene „vierseitige Booklet“ ist ein in der Mitte gefaltetes Blatt in Schwarzweiß – das ist kein Mangel, das Original war grafisch auch etwas sehr avantgardistisch: passt.
Same time tomorrow
- Wer Bright Red von der CD-Version kennt, dem sei die LP empfohlen. Es ist zum Glück keine „Neuentdeckung“, sondern eine dem Träger absolut gerechte Version. Prädikat: Hörgenuss erster Güte.
- Wer Bright Red noch nicht kennt, den beneide ich, denn er hat das Album noch vor sich.
Can we start all over again?
Auch wenn es zu einer Rezension nicht gehört, sei ein kurzer Rückblick gestattet. Es ist wirklich der letzte.
Unvergesslich, als im Herbst 2001, kurz nach dem 9/11, in der Laeiszhalle, die damals noch nicht so hieß, Laurie Anderson zum Schluß ihres Konzerts mit der kleinen Band, jetzt alleine im Spotlight nur mit ihrer Farfisa, mit zerbrechlicher Stimme Love among the Sailors sang – ein Song, dessen Text plötzlich eine neue Bedeutung bekam – und auch heute wieder so erschreckend wahr ist:
There is a hot wind blowing.
Plague drifts across the oceans.
And if this is the work of an angry god
I want to look into his angry face.
There is no pure land now. No safe place.
Come with us into the mountains.
Hombres. Sailors. Comrades.
Danach ging das Licht aus. Zugaben waren nicht vorgesehen. Es verlangte auch niemand danach.