Scheu Cello vs. Premier MKII

  • Liebe Vinylhörer,

    seit 3 Tagen habe ich nun meinen Scheu Premier MKII und betreibe ihn mit Cantus 9-Zoll Tonarm und MC Scheu silver. Da ich auch noch mein Cello-Laufwerk zu Hause habe, dachte ich mir, ich schreibe mal was zum Vergleich der beiden Plattenspieler – vielleicht interessiert es ja jemanden...


    Als erstes habe ich meine bereits verzogene 20 mm Leimholzplatte gegen eine ordentliche 40mm Multiplexplatte ausgetauscht. Das Cello gewinnt dadurch deutlich an Präzision. Da sich die Investition mit unter 20,-€ in Grenzen hält, kann ich einen vernünftigen Untergrund fürs Cello also nur empfehlen!


    Vergleicht man die „Zutaten“ bei Cello und Premier, so ist man anfänglich ob der engen Verwandtschaft verwirrt: Identischer Motor (allerdings beim Premier in aufwändiger schwerer Motordose), identisches Netzteil, identisches Plattentellerlager. Die Unterschiede: 50 mm statt 30 mm Teller und natürlich die schwere, mit Bleischrot gefüllte Acrylzarge, gegen die das Cello mit seiner 15 mm starken Acrylzarge geradezu zierlich wirkt. Lohnt sich also die Mehrausgabe bei so viel Ähnlichkeit? Schließlich kostet ein Premier laut Liste fast das Doppelte eines Cello ...


    Beim Aufstellen der schweren Acrylzarge kommt erste Freude auf: Die waagerechte Justage mit Hilfe der 3 Spikes ist kinderleicht – so etwas hätte ich mir beim Cello auch gewünscht, als noch die krumme Holzplatte darunter lag! Das invertierte Lager kenne ich ja bereits. Hält man die Belüftung am Plattendorn zu, kann man die Hülse kaum abziehen – der entstehende Unterdruck belegt die präzise Fertigung. Nach Auflegen des 50 mm Tellers mit sanftem Druck läuft das Ganze nach einem kleinen Schubs endlos – so soll es ein. Jetzt schnell noch den Tonarm montiert: Das Hantieren mit dem nackten MC Scheu (kein Nadelschutz!) führt bei mir immer zu Schweißausbrüchen (Ich habe bei so einer Aktion schon mal ein Goldring 1042 ins Jenseits befördert). Das Einstellen des VTA am Cantus lässt mich fast verzweifeln, bis ich begreife, dass ich dazu einen 1.5 mm Imbus benötige.


    Beim Motor bin ich besonders gespannt: War doch der Cello Motor nicht gerade durch seine ruhige Arbeitsweise aufgefallen! Ernüchterung für alle Technik Freaks: Auch den Motor in der großen Dose hört man. Allerdings nur in absolut ruhiger Umgebung, wenn man mit dem Ohr ganz dicht herangeht – damit kann ich leben. Wenn ich beim Cello ein Stethoskop (ja, ich komme aus dieser „Branche“) auf die Acrylzarge gelegt habe, konnte ich das Brummen des Motors genau so laut hören, wie auf dem Motorgehäuse selbst. Auch auf dem Plattenteller waren (bei abgenommenen String) noch leise Motorgeräusche zu hören. Die Entkopplung des Motors vom Laufwerk ist beim Cello also recht schwach. Also schreit so eine einzelne Premier- Motordose ja geradezu nach einer Aufstellung auf einem extra Brett. Das gleiche Spiel also von vorne: Mit dem Stethoskop hört man über der Premier- Motordose das altbekannte Surren. Bereits bei Aufstellung von Motor und Laufwerk auf derselben Unterlage hört man mit dem Stethoskop über der Multiplexplatte und dem Plattenteller: Nichts! Da auch mit Hand keinerlei Vibrationen wahrnehmbar sind, habe ich mir den Aufwand mit dem zweiten Brett gespart.


    Nun zum Hören: Die ersten Töne sind irgendwie unspektakulär, denn der Gesamtcharakter der beiden „Scheus“ ist ähnlich – aber mir fällt auf, dass die Störgeräusche geringer sind als früher!? Kann ja eigentlich nicht sein, oder? Vielleicht ist es ein psychoakustisches Phänomen, dass wir bei stimmigerer Musikwiedergabe den einen oder anderen Knackser überhören?
    Ich greife zu Händels Violinsonaten (E. Melkus, Archivproduktion 64240). Hier fand ich beim Cello den Ton der Violine immer etwas „nervös“. Mit dem Premier ist es erstaunlich: Breitere Bühne, insgesamt ruhigere Stimmung, die Nervosität ist wie weggeblasen.
    Die großen Mozart Sinfonien (J. Krips, Phillips 6747130): Auch hier mehr Rauminformation. Es gibt plötzlich Musiker rechts von dem rechten Lautsprecher (meine Augen suchen die nicht vorhandene Mehrkanalanlage), das Orchester hat plötzlich eine klare Tiefenausdehnung.
    Haydn’s Schöpfung (G. Kuhn, Orbis 918888): Enttäuschung macht sich breit. Auch der Premier macht aus einer schlechten Aufnahme keine gute (-> ab zu eBay!).
    Frau und Kinder sind aus dem Haus, ich kann mal so richtig Krach machen. Pink Floyd, Dark Side of the Moon: Bei „Time” ist wieder die Räumlichkeit der prägende Unterschied. Man kann förmlich nach den Uhren greifen. Der Bass erscheint mir etwas schlanker, als beim Cello, dafür sauberer und tiefer.
    E. Schöner, Events (EMI 1C064-45879): Bei dem Stück „Gam-Bang“ faszinieren mich die Congas, genauso klingt das Fell auch live!
    Es gibt aber auch eine Menge Stücke, wo die Unterschiede für mich nicht so deutlich sind: Jimi Hendrix’ Isle of Wight klingt auf dem Premier nicht wirklich anders, als auf dem Cello. Bei Zappa’s Sheik Yerbouti dagegen ist wieder die Räumlichkeit der prägende Unterschied.


    Fazit: Man kann mit dem Cello hervorragend Musik hören. Man kann mit dem Premier noch besser Musik hören, wenn es einem auf Rauminformation und klangliche Ruhe ankommt. Die Unterschiede sind deutlich, so dass ich sicher bin, auch im Blindtest – entsprechende Musik vorausgesetzt – sagen zu können, welches Laufwerk gerade spielt. Ob einem der klangliche Zugewinn das Geld wert ist, muss jeder selbst entscheiden. Streng genommen ist die Preis- Qualitäts- Relation beim Cello besser. Und ich bin sicher, dass man noch erheblich tiefer in die Tasche greifen muss, um den Premier zu toppen. Ich jedenfalls werde das Thema Laufwerk wohl für lange Zeit ad acta legen und freue mich darauf, heute noch ein paar gute Jazz Platten zu hören, denn die kennen bisher nur mein Cello.


    Viele Grüße
    Sebastian

  • moin sebastian,


    danke für deinen tollen, verständlichen bericht.


    so beschrieben kann ich klangliche unterschiede von hifi-geräten verstehen und nachvollziehen.



    also - danke und tschüß (werde jetzt pink floyd auflegen)


    volker

    PWM Gläss :: Nakamichi TX-1000 + Pluto 5A mit Koetsu + DV 507 mit DV 17D3 :: Whest PS.30R :: Vollverstärker 1,1 Watt Class A :: Hörner 109 dB

  • Zitat

    Ich habe bei so einer Aktion schon mal ein Goldring 1042 ins Jenseits befördert

    Mein Beileid, das schmerzt. Ich habe neulich mein geliebtes Benz Ruby II open Air getötet *schnief*.

    Keith, don't go.

  • Moin Moin Sebastian.


    Ein schöner Bericht. Danke für Deine Mühe !


    Ich habe mir ebenfalls den Scheu-Premier MK II zugelegt. Allerdings habe ich die Zarge für zwei Tonarme gewählt. Aufnahme für 9" und 12". Als 9" werde ich einen SME 3009 R mit Cardas-Innenverkabelung, Bronze-Messerlager, einem Orsonic-Headshell und ein Kontrapunkt A betreiben. Als 12" habe ich mich für den Cantus, ebenfalls mit Cardas-Verkabelung, entschieden. Den werde ich vorerst mit dem Denon DL 103 ausstatten. Wenn mir das nicht zusagen sollte, werde ich mir noch ein Benz bzw. ein Kontrapunkt A zulegen.


    Ich werde dann mal Berichten wenn alles läuft.


    G r u ß
    Heinz-Werner

  • Hi Holger!


    Zitat

    Mein Beileid, das schmerzt. Ich habe neulich mein geliebtes Benz Ruby II open Air getötet *schnief*.


    Naja, dafür haste ja jetzt das Benz LP. :]


    Schade, sonst hätte ich da etwas für Dich. :P (Ich hoffe, Du weisst, wovon ich spreche. Meins hat allerdings ein Holzgehäuse).


    Gruß,


    Thorsten

  • Hallo Sebastian,


    toller Bericht und Herzlichen Glückwunsch zu Deinem "großen Scheu" :D:D:D


    Gruß Frank