Hallo zusammen,
nachdem meine dort geäußerte Androhung, einen Thread für Audiophiles von der DGG aufzumachen, keinen nennenswerten Widerstand fand, schreibe ich hier mal den ersten Beitrag einer hoffentlich fruchtbaren Folge von Postings. Von der Behandlung der interpretatorischer Seite der jeweiligen Platten sehe ich im Großen und Ganzen mal ab, denn das gehört eher in einschlägige Buchpublikationen und schreckt erfahrungsgemäß die weniger Schreibwilligen hier nur unnötig ab. Was mir nicht gefällt, stelle ich hier ohnehin nicht vor.
1. Mozart: Klavierkonzerte KV 453 und KV 467
Géza Anda, Camerata Academica des Salzburger Mozarteums, SLPM 138783 (10/64)
Diese LP ist Teil einer Gesamtaufnahme, die Anda mit der Camerata in den Sechzigern machte, wobei die Aufnahmen auch einzeln verkauft wurden. Die vorliegende erhielt seinerzeit den Grand Prix du Disque, wie das Cover mittels Aufkleber stolz hervorhebt. Das Cover ist ohnehin insofern etwas außergewöhnlich, als unter der Mitte des gelben DGG-Rechtecks weder einen gelben noch eine roten „Stereo“-Kasten trägt, sondern gar keinen. Dafür liest man in roter Schrift oben rechts neben der Bestellenummer das Wort „Stereo“ und auf der Rückseite oben rechts klebt ein gelber Sticker mit der Aufschrift „STEREO auch MONO abspielbar“.
Die Platte ist auf erfreuliche Weise klanglich unspektakulär, wobei ich mich auf das orchestral stärker besetzte Konzert KV 467 beziehe. Das Orchester ist in einem eher flachen Halbkreis im Klangpanorama aufgestellt, das Klavier leicht davor gestellt. Das Klangbild wirkt zunächst etwas dunkel timbriert, erweist sich jedoch als sehr gut durchhörbar. In dieser Transparenz des Musikgeschehens bis nach ganz hinten liegt ohnehin die Stärke der Aufnahme, die nichts betont, aber auch nichts verbirgt. Besonders liebevoll sind die (bei Mozart so ungemein wichtigen) Bläserstimmen behandelt, die dem Hörer gewissermaßen auf einem Samtkissen dargereicht werden, ohne deswegen auch dem Halbrund nach vorn an die Bühne zu treten.
Der Klang des Klaviers ist sehr detaillliert und ohne jede Verfärbungen eingefangen.
Vergleicht man die Platte mit moderneren Einspielungen, etwa der von Brendel/Marriner, so klingt sie nicht älter, sondern nur nach einer anderen Aufnahmeumgebung.
2. Borodin: Symphonie Nr. 2/ Eine Steppenskizze aus Mittelasien
Tschaikowsky: Ouvertüre „Romeo und Julia“
Sächsische Staatskapelle Dresden, Kurt Sanderling SLPM 138686 (11/61)
Diese Platte dokumentiert die Zusammenarbeit der DGG mit den Musikschaffenden der damaligen DDR, und für diese Kooperation hatte man sich einen ihrer führenden Dirigenten und das maßgebliche Orchester dieses Staates ausgesucht. Das Programm ist interessant zusammengestellt, denn Borodins Nr. 2, mit der die Platte beginnt, war damals nicht allzu häufig in den Konzertsälen oder auf Platten anzutreffen.
Das Klangbild lässt beim Durchhören der Symphonie in den ersten drei Sätzen nicht sonderlich aufhorchen – nicht schlecht, aber auch nichts besonderes. Das ändert sich im vierten Satz, in dem Borodin den gesamten Orchesterapparat effektvoller einsetzt, gründlich im Sinne einer nun offenbar werdenden Dynamikspanne, die man zuvor vermisst hat. Der Klangraum ist natürlich deutlich tiefer als der bei Mozart, das gesamte Spektrum breiter. Er ist irgendwo zwischen der Breitflächigkeit vieler RCA-LSC’s und der unendlichen Tiefe der Decca-SXL’s angeordnet, dies aber bei detailgenauerer Beleuchtung der einzelnen Instrumentengruppen. Die „Steppenskizze“ profitiert davon sehr.
Das energische Dirigat Sanderlings findet in der dann folgenden Ouvertüre (Anspieltipp!) seine dynamische Entsprechung. Der Sound des Orchesters ist fein ziseliert, erpart sich aber donnernde Effekte mancher Show-Platten und sorgt für eine als „genau richtig“ empfundene Abschattierung der jeweils geforderten Lautstärken. Man bedenke, das die Aufnahme von 1961 stammt.
3. Tschaikowsky: Symphonie Nr. 5 e-moll op. 64
Leningrader Philharmonie, Jewgenij Mrawinskij, SLPM 138658 (2/64)
Diese Platte gehört seit ihrem Erscheinen zu den Highlights des DGG-Katalogs, und es kein Zufall, dass sie auch als SC-Reissue existiert. Da ich auch das Reissue besitze, habe ich mir erlaubt, dieses hier gleich mit zu behandeln.
Über die Interpretation der Leningrader unter ihrem jahrzehntelangen Zuchtmeister Mrawinskij wäre fast jedes Wort zuviel verloren, denn sie gilt nach wie nach allgemeiner Auffassung als einer der Fixsterne, an denen man sich zu orientieren hat.
Die Symphonie behält sich die schärfsten Kontraste und die größte Attacke für den Schlußsatz vor, der Leises mit sehr Lautem kombiniert. Die Tontechniker wählten hier ein Klangbild, dass gegenüber der Borodin-LP beträchtlich mehr Tiefe hat, gleichzeitig aber Streicher und Bläser an den jeweiligen Extremen der Horizontale ansiedelt. Daraus eine geschlossenes Ganzes zu schaffen, ist nicht einfach, hier aber gelungen. Die Platte gehört zu den wenigen der DGG, die auch in dynamischer Hinsicht internationale Konkurrenz nicht fürchten müssen, wenngleich sie keinesfalls so explosiv klingt wie diese. Stattdessen hat man damals insbesondere dem unteren Frequenzbereich Grenzen bei der Schneidetechnik gesetzt, dafür aber insbesondere die Blechbläser um so schärfer modelliert. Insgesamt vermisse ich nichts.
Bei SpeakersCorner empfand man das offenbar anders. Deren Ausgabe ist nicht nur im Pegel um ca. 3 dB lauter, man hat (mittels Cello Audio Palette?) auch mehr Bass hereingedreht, was besonders bei den Kontrabässen deutlich zu hören ist. Ein klanglicher Zugewinn ergibt sich daraus für meinen Geschmack nicht, weil die Bassanhebung kein Mehr an Details bewirkt, sondern nur einen dickeren Klangteppich erzeugt. Dem steht eine vernehmbar andere Betonung der Streicher im Sinne einer Aufweichung gegenüber. Weist das original im Klangbild einige (der Interpretation sehr zugute kommende) schroffe Kanten auf, so sind diese im Reissue merklich geglättet. Am Schluss der Symphonie etwa ließ Mrawinskij die Bläser ihre Noten förmlich herausschleudern, so dass diese die Streicher fast überlagerten. Dieser spektakuläre Effekt geht bei der SC verloren, weil man die Lautstärke der Streicher offenbar angehoben hat. Das habe ich wegen der zugleich leicht veränderten Klangfarbe außerdem als künstliches Aufbrechen der originalen Schroffheit des Klanggeschehens empfunden. Obgleich ich bei der Darstellung von Bässen eigentlich kein Kind von Traurigkeit bin, gebe ich hier dem original klar den Vorzug.
(Abgehört mit Shibui DL103 am SME 3009/II, Lautsprecher Ecouton LQL 200)
So, nun seid IHR dran.
Gruß
Gerd
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