Jazz - noch Lebenszeichen erkennbar ?

  • Wohin man hört: Blue Notes, Synkopen, Holzbaß. Kein Tatort ohne eine Miles-Trompete, kein Kunstlicht-Schwedenthriller ohne ein paar depressive Piano-Tupfer a la Ketil Bjornstadt. Am kalten Buffett von Aktionärshauptversammlungen machen attraktive Sängerinnen einen auf Billie Holiday und verzichten „stilecht“ auf Elektronik.


    Jazzendungen bezeichnen die schon in die dritte Generation reichende Marsalis-Mafia mit ihrem sterilen Museumsjazz als
    fortschrittlich, noch so blödes deutsches Schlagergeträller lässt sich von Till Brönner ein paar Chet-Baker-Töne blasen.


    Ich kann inzwischen schon die ständig nachgeäfften Originale nicht mehr hören, so abgedroschen ist das Genre. Sorry, Miles, Träne, Monk, Bill Evans (ich meine den richtigen, nicht den Weichspüler am Martinshorn), ihr könnt nix dafür .


    Sehe ich das zu negativ ? Für mich ist der Jazz längst tot, zum kommerziellen Ambiente verkommen. Oder gibt es irgendwo noch eine kreative, improvisierte, unberechenbare, riskante, revolutionäre, gegen den Zeitgeist gerichtete, nach Freiheit lechzende Musikform ?
    Markus

  • Hi,


    aber hallo, ja doch!!
    Schau dich doch mal bei den Produktionen des französischen 'Label Bleu' um, das hat Kraft und Energie, besonders der Flötist Magic Malik, geprägt von nordafrikanischen Einflüssen - oder auch Steve Coleman - mittlerweile bei Label Bleu, das amerikanische Gegengift zu den Traditionalisten um Marsalis. Aus deutschen Landen kann ich das Trio Em (Wollny, Kruse, Schäfer) empfehlen, einen guten Überblick über die junge Szene gibt die zeitschrift JazzThing mit ihrer CD-Reihe 'Next Generation', nicht alles Gold, aber einige interessante Geschichten sind mitunter dabei


    Soweit erstmal, vielleicht fällt mir noch mehr ein


    Gruß


    Roland

    Einmal editiert, zuletzt von friedrich29 ()

  • Hallo Markus,


    ab einem gewissen Punkt der Musikverliebtheit setzt etwas ein, was man schon als Arbeit bezeichnen kann: Du musst Dich darum kümmern ! Finde Radiosendungen heraus, deren Stil Dir zusagt, lese möglichst viele Musikblätter, besuche Konzerte...und und und.Wenn dann genug Material vorhanden ist, bilde eine Schnittmenge von dem, was Dir gefällt. Dann dort in diesem Umfeld weiter suchen...Es gibt garantiert auch für Dich noch interessante Musik auf diesem Planeten, nur kommt das leider nicht halbstündig im Radio. Obwohl ich kein Jazz - Spezialist bin:


    Gregory Fleckner Quintet


    Flanger


    Xaver Fischer Trio


    ...mal reinhören, vielleicht passts´ja !


    Grüße,


    betamax

  • das amerikanische Gegengift zu den Traditionalisten um Marsalis.

    aber Steve Coleman (mit dem ich mich noch nicht befaßt habe) ist doch meines wissens eben gerade der Prototyp eines Young Lion.
    @ Markus Berzbom:
    Natürlich gehört Schlippenbach zu den ganz Großen. Aber er dürfte auch schon um die 70 sein und gehört zu den alten Kämpen, die sich auch heute noch weiterentwickeln - auch wenn es schon ca. 10 Jahre her ist, als ich ihn das letzte Mal mit Takase gehört habe. Dazu gäbe es noch viele Beispiele - Wayne Shorter ist m.E. heute auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung angekommen - aber das sind doch bei allem Respekt alles die alten Herren von gestern. Das Problem ist, daß nix Junges nachkommt.
    Markus

  • Um Shorter nochmal zu hören, mußt Du leider bis nach dem Ableben warten.


    Ich bin damit beschäftigt, meine Favoriten weiter zu vervollständigen. Neues kommt bei mir erst spät an und CD nicht ins Haus :(

    Ich habe keine Ahnung, und davon verstehe ich auch nichts :wacko:

  • aber Steve Coleman (mit dem ich mich noch nicht befaßt habe) ist doch meines wissens eben gerade der Prototyp eines Young Lion.


    Hi,


    m.E. definitiv nicht. BeBop- und HardBob-Styles sind da höchstens im Hintergrund vernehmbar. In seinen 80er Jahre Aufnahmen bei JMT ist da eher ein starker Bezug zu originären afrikanischen Rhythmen und zur beginnenden HipHop-Szene spürbar. Mittlerweile hat Steve Coleman seinen gänzlich eigenen musiktheoretischen Background entwickelt, der schon ziemlich singulär ist. Hör die mal die CDs On the Rising of the 64 Paths und Lucidarium an. Auch zu empfehlen ist seine Webseite M-Base


    Ansonsten wäre doch noch die New Yorker Downtown-Szene rund um die Knitting Factory zu nennen, mittlerweile sind die Gründungsmitglieder um John Zorn auch schon etwas in die Jahre gekommen, aber der Nachwuchs blüht, konnte ich letzten Januar vor Ort feststellen


    Gruß


    Roland

    Einmal editiert, zuletzt von friedrich29 ()

  • Hola,


    ich war vor ein paar Tagen in der Unterfahrt in München und habe


    Araxi Karnusian's Strange Sounds - Beautiful Music


    gehört.


    Dabei handelte es sich um ein Streichquartett in Kombination mit einem Jazzquintett, welches sich "Strange Sounds – Beautiful Music" nannte und von der genannten Araxi Karnusians geführt wird. Eine sehr interessante Mischung von Improvisation und sehr melodischen Passagen. Jazz kombiniert mit klassischer Musik, tolle Beats und mehr.


    Sehr frisch, fand ich.


    Man muss halt ein bißchen suchen...


    Saludos


    Cuauhtemoc

    Einmal editiert, zuletzt von Cuauhtemoc1969 ()

  • Das Problem ist, daß nix Junges nachkommt. Markus


    Vielleicht ist es heute schwieriger als je zuvor, daß sich junge, unkonventionelle Jazzmusiker durchsetzen können. Viele amerikanische Jazzmusiker sind auf europäischen Bühnen erfolgreicher gewesen, als zu Hause. Nur wenige Jazzmusiker werden sich wirtschaftlich erfolgreich behaupten können und wenn, dann nur, wenn sie sich dem Kommerz nicht verschliessen. Ich wühle auch eher in der Vergangenheit des Jazz. Neues kenne ich nicht, oder es gefällt mir nicht. Den letzten grösseren Kick hat mir Stan Lacy mit Aufnahmen aus den 50ern verschafft. Und ein mir zuvor unbekannter Joe Harriott. Wenn Musikhörer nach einem Einstieg fragen, was sie sich anhören könnten um sich mal mit ein paar Jazzaufnahmen vertraut zu machen, kommt meistens der Hinweis auf Kind Of Blue. Damit kommt man meiner Meinung nach nicht weit, oder halt nur bis zu Wynton Marsalis.


    Heute gibts halt keinen Charlie Parker, oder einen 'neuen' Ornette Coleman. Wer macht sowas wie Thelonious Monk mit den Rythmen oder den Melodien heute? Vielleicht gibts irgendwo unbekannte Musiker, die die Stile vermischen, sich selbst entwickeln, aber ohne Plattenvertrag oder Auftritte, von denen in der Jazzszene gesprochen wird, irgendwo in wechselnden Besetzungen, mit anderen Unbekannten Musikern irgendetwas neues, unerhörtes ausbrüten? Eine Mischung aus Jazz, Elektronik und Volksmusik? Mir fallen keine Namen ein. Jazz kommt doch aus dem Blues, der amerikanischen Volksmusik vom Land, die die Musiker in die Städte gespült hatte, wo sie allabendlich ein Publikum zu unterhalten hatten. Wer will heute, auf sich selbst gestellt, mit einem verinnerlichten Repertoire musikalischer Erinnerung, was Neues entwickeln. Nicht verkopft, etwas , was auch die Leute packen kann, selbst wenn es vollkommen unkonventionell daherkommt. Gibst überhaupt eine derartige Szene hier in D, irgendwo? Mit Jazz der aus dem Bauch kommt und in die Beine geht? Wenn das dann mal sicher ist, können daraus auch 'anspruchsvollere' Sachen abgeleitet werden? Aber, ich habe keine Ahnung. Ich orientiere mich nach hinten, zurück, solange ich dort immer noch was entdecken kann, was mir unbekannt war.


    gruß
    ingo

  • Es gibt schon einiges, gerade auch in der Kölner Szene und Umfeld.
    Kann man sich z.B. jedes Jahr bei der Kölner Musiknacht anhören (siehe entsprechenden Thread von mir).
    Die Frage ist nur manchmal, ob man die Musik noch durchgehend als Jazz bezeichnen kann. Wobei mich persönlich diese Frage aber auch nicht sonderlich interessiert.


    Gruß,
    Markus