Reissues


  • Ein kleiner - nicht vollständiger - Leitfaden mit einem Abstecher in die Geschichte.
    Generell meint man ja, ein Reissue wird gemacht, weil das Original aus diversen Gründen verbesserungsfähig ist ( Pressung, Mastering...). Ist allerdings in der Wirklichkeit nur 1 Aspekt von vielen anderen.
    Gemacht wird es natürlich, um Geld zu verdienen. Mit den bereits verkauften Platten kann man keines mehr machen. Dazu gilt folgendes:


    Original(e) sind nicht alle gleich
    Bestes Beispiel: Harry Belafonte At Carnegie Hall LSO 6006
    Man sucht sie, findet sie problemlos, gibt recht viel Geld aus und ist froh, dass man sie endlich hat. Irgendwann kommt der Vergleich mit einem aktuellen Reissue und man stellt fest (oder hört), dass diese Neue wirklich besser ist. Für einen Bruchteil des Geldes.
    Erfahrung gemacht, Kapitel geschlossen.


    Nun kommt der nächste Schritt
    Irgendwann liest man 'mal etwas von Presscodes, Stampers und ähnlichem. Man holt also zwecks Weiterbildung die damals teuer gekaufte Belafonte aus dem Schrank, schaut in die Auslaufrille und sieht z.B. 29s/35s etc.
    Man macht sich schlau, und stellt fest, diese gekaufte Platte ist vielleicht 5$ wert, wenn sie denn überhaupt einer haben will. Die Händler verdienen sich damit dumm und dusselig, denn verkauft wird sie als original für 80,--€, man darf anschließend noch Danke sagen und allen in der virtuellen Welt mitteilen, dass man nun auch „sie“ im Schrank stehen hat. Dem Händler darf man nicht böse sein, denn er kann ja nicht dafür, wenn der Käufer kein Wissen hat (und sich damit wohl fühlt). Und wenn es eben so 200x funktioniert hat, dann freut man sich, dass es auch mit wenig Gerede geht.


    Nächster Schritt
    Jetzt will man es aber wissen, also sucht man die Belafonte in einer angesagten Pressung, sagen wir alles zwischen 1s und 7s, dazu ohne Schramme mit intaktem Cover, wenig gespielt, keinen Höhenschlag, aus dem Nachlass vom verstorbenen Onkel, also der übliche Speicherfund.
    Seltsamerweise geht dann da mit 5$ nichts, auch nichts mit 50$ oder 90$.
    Es wird 3-stellig. Gut 3-stellig...
    Wenn man sie dann hat, k-a-n-n man feststellen, dass sie anders klingt, dynamischer, tiefer, substantieller und der Hochton "irgendwie" eine andere Präsenz hat.
    Vor allem dann, wenn man noch einen Tonarm besitzt, der in der Hähe versellbar ist, da man ja gelesen hat, dass der Schneidewinkel auch eine gewisse Rolle in der Wiedergabe spielt.
    Man informiert sich weiter. Tapes vor 30 Jahren wurden anders ausgesteuert, da gibt es viel Informationen zu lesen, die Labels hatten auch diverse Technikerteams, kurz gesagt, es gibt viele Fragen und man findet problemlos Antworten.


    Zurück zu den Reissues
    „Man“ hat also ein Band von damals und versucht, das Bestmögliche daraus zu machen. Was immer das heißen mag. Manches gelingt besser, manches nicht. Die Tapes unterliegen auch Alterungsprozessen. Ist ein recht umfassendes Thema.
    Heute wird vieles - eher fast alles - unter Kostenaspekten gesehen, nicht unbedingt unter qualitativen. Was kostet was, wieviel davon geht und für wen ist es?
    Letzteres ist interessant, da man ja meint, es wird für den anspruchsvollen "Connaisseur" gefertigt und es wird also schon passen. Es gibt aber doch - zu - viele Schritte.
    Welche Apparatur wird verwendet, welches Wissen steht da am Mischpult, an der Schneidemaschine, was verlangt er, welches Vinyl steht zur Verfügung, welche Hitze, wie ist der Kühlprozess, welchen Output gibt es ... und und und.
    Und dann gibt‘s noch welche, die wollen auch noch, dass das Reissue mindestens genau so gut „klingt“ wie das beste Original, was ja selten einer wirklich gehört hat. Das ist ein recht aufwendiges - sprich teures - Thema, denn da braucht man jemand, der lange diverse Mixes probiert, anhört, verwirft, neue Geräte kaufen muss, weil die vorhandenen bestimmte Dinge einfach so nicht mehr können... Oder der versteht, was damals ablief.
    Kurz gesagt, da kann man sich wirklich was ans Bein binden, wo man die Oberfläche nach dem Sprung ins Wasser so schnell nicht mehr wieder sieht.


    Was kann noch passieren?
    Der aufgeklärte Plattenliebhaber ist bereit, etwas mehr auszugeben, denn er hat ja bereits Unterschiede gehört. Dank weltweiter Vernetzung findet er das Objekt seiner Begierde, steigert mit und stellt fest, dass es da draußen viele „Wahnsinnige“ gibt, die sein Maximalgebot um das 10-fache überbieten. Und das auch beim nächsten Mal, und dann wieder und wieder und wieder.


    Originale, also die Erstpressungen, haben gewisse Eigenschaften. Sie sind klanglich die beste Version (abgesehen von Ausnahmen im Pop Bereich und ein paar anderen, Murks gibt's auch manchmal, aber eher selten, dazu waren die Labels vom Know-How zu gut besetzt), dazu ist es authentisch, denn der KÜNSTLER hat diese Aufnahme FREIGEGEBEN. Also, in gewisser Weise eine Art zeitgenössisches „Dokument“. Sammler, Fans, Audiophile legen hohen Wert auf diese Tatsache.
    Wenn es dann noch Platten sind, die schon vor 30 Jahren teuer waren oder bei Nichtverkauf retourniert und eingeschmolzen wurden, ist es logisch, dass die Preise in hohe Regionen abdriften. Das betrifft aber hauptsächlich diverse Klassik- und Jazzlabels.
    Hier gibt es noch viele andere Aspekte (Preis, Künstler lebt/verstorben, Aufnahmeleiter, Aufnahmeort und so weiter)


    Nächster Schritt
    Die Erkenntnis, dass man DAS nicht mitmacht. Das Reissue ist ruhig, es gefällt und trotz gewisser Mankos ist es dann nun doch völlig ausreichend.


    Für viele ist der Datendownload für den MP3 Player allerdings genauso befriedigend. Also, wenn‘s einem gefällt, muß man nicht ungedingt 25-45 € für ein Reissue ausgeben, wenn man für 1,50 € aus dem Netz auch Musik hören kann. Schwarz und rund kann sein, muß aber nicht. Denn es zählt ja nur (aus Sicht mancher Foristen), dass das gut ist, was man selbst als gut erachtet.


    Das Thema ist sehr vielschichtig und interessant.
    Und:
    Es gibt Unterschiede.

    Einmal editiert, zuletzt von Thomas ()

  • Hi Thomas,
    die nächste Frage ist, ob's diese Aufnahme sein muss, oder ob einem eine andere von der Interpretation vielleicht genauso gut oder noch besser gefällt.


    Ich fand es z.B. immer komisch, dass klassische Musik auf Decca besser sein soll als auf anderen Labels. Die ungairschen Tänze von Brahms dirigiert von Tibor Paul auf Fontana finde ich z.B. sehr viel besser als die auf Decca mit Fritz Reiner.


    Bei Jazz und Rock Pop ist das mit unterschiedlichen Interpretationen ja einfacher. Klar, da gibt es auch unterschiedliche Pressungen. Aber da ist es auch die Frage, ob man mit einer normalen auch glücklich werden kann.


    Aber man kann die gleiche Frage auch für die Anlage stellen. Mir gehen viele High-End-Anlagen am Allerwertesten vorbei, weil sie mich nicht anmachen oder falls ja, mir einfach zu teuer sind.
    Manche günstigere Anlage ist mehr als okay.


    Aber jeder gibt halt soviel Geld aus, wie es einem wert ist.


    Tschau,
    Frank

    Entspanntes Hören, Frank


    ] Vorhandensein von Musik - Zuhandensein von Klang [

  • Hi Frank,
    du, das ist eine ganz interessante Ansicht von dir. Vor allem das in dem Mittelteil.
    Gut, dass wir darüber geschrieben haben.

  • Frank hat die Antwort gegeben, die inzwischen in diesem Forum leider Standard zu sein scheint.


    Dabei finde ich z.B. eine Fragestellung, von der Beschäftigung mit vielen Geräten weg und hin zur Beschäftigung mit der Vielfältigkeit des Mediums Schallplatte (gerade in diesem Forum) für echt spannend.


    Viele Grüsse,
    Mario

    Viele Grüsse,
    Mario


    It is good taste, and good taste alone, that possesses the power to sterilize and is always the first handicap to any creative functioning. (Salvador Dali)

  • Danke Thomas!


    Ist ein sehr guter Beitrag und auch von Frank.


    Bin durch deinen Beitrag, der mehr als fundiert ist im Dire Straits Thread, sehr erstaunt was ich noch alles lernen muß.


    By the way...


    Let me entertain you...

  • Der Beitrag von Thomas ist OK, aber die Vorstellung, ein Dirigent, Pianist oder wer auch immer habe die Erstpressung einer Aufnahme grundsätzlich klanglich "freigegeben", ist dann doch ein bisschen naiv.


    Gruß,
    Markus

  • aber die Vorstellung, ein Dirigent, Pianist oder wer auch immer habe die Erstpressung einer Aufnahme grundsätzlich klanglich "freigegeben", ist dann doch ein bisschen naiv.


    Gruß,
    Markus


    ..aber vom Grundansatz schon Korrekt,und..nicht selten sind (waren) die Künstler auch beim Mastering oder Abmischen mit dabei und schauen den Toningineuren auf die Finger..zwei Beispiele: Led Zeppelin´s erste Remasters von 1990,die Bandmitglieder waren damals Persöhnlich mit im New Yorker Studio und gaben tipps,oder die Hollies 1988 in Englands Abbey Road Studios.


    Jedes nachfolgende Duplikat vom Duplikat usw.wird zwangsläufig irgendwie schlechter klingen,jeder weiß das..nur,man muss doch heutzutage mit unserer hochentwickelten Elektronik in der lage sein ein anständiges (den Originalen Erstpressung im vergleich zumindest gleichwertiges) Reissue hinzubekommen das jeden,auch den ambitionierten Hörer mit der micro seiki zufriedenstellt.


    gruß
    volkmar



    ps..hab mir übrigens auch die Dire Straits Reissues (aus dem vorhergehendem Treath) bestellt,
    sind heute angekommen :) hörbericht folgt

    AAA Mitglied

    ..die zeit wartet auf niemand (Ulla Meinecke 1991)

  • Das wäre glaub ich auch mächtig teuer. Erst Test-LPs pressen, dann hören und dann wieder ans Mischpult?
    Ne, ne.
    Da sollte man nicht das Mastering auf die Plattenpresse einstellen, sondern eher wieder vernüftig das Vinyl pressen!


    Meine bescheidene Meinung.

  • Originale, also die Erstpressungen, haben gewisse Eigenschaften. Sie sind klanglich die beste Version [...], dazu ist es authentisch, denn der KÜNSTLER hat diese Aufnahme FREIGEGEBEN.


    Scheint mir eine äußerst laienhafte & unrealistische Vorstellung vom tatsächlichen Ablauf der Dinge zu sein.


    Aber jeder soll schließlich die Freiheit haben zu glauben, was ihm am romantischsten vorkommt...

    Perge, scelus, mihi diem perficias

  • Zitat von »Thomas«


    Originale, also die Erstpressungen, haben gewisse Eigenschaften. Sie sind klanglich die beste Version [...], dazu ist es authentisch, denn der KÜNSTLER hat diese Aufnahme FREIGEGEBEN.



    Mag dem einen oder anderen naiv, laienhaft oder unrealistisch erscheinen/vorkommen - entspricht aber im Klassik-Sektor bis weit in die Siebziger Jahre und abhängig von der Bedeutung/Status des jeweiligen Dirigenten/Solisten absolut den Tatsachen.
    Das ist auch ein Grund warum es nur wenige Dutzend Exemplare von einer bestimmten Columbia-LP mit Bruno Walter gibt und warum diese LP seit knapp 40 Jahren die teuerste Stereo-Klassik-Schallplatte auf dem Weltmarkt ist (Bruno Walter verweigerte die Freigabe (ob aus künstlerischen oder klanglichen Gründen (wohl eher ersteres, ich habe die LP gehört und sie klingt selbst nach meinen Maßstäben recht ordentlich) sei dahin gestellt) nachdem bereits einige Dutzend LPs als Promotional Copies an die üblichen Verdächtigen - = die maßgeblichen Kritiker - versendet worden waren).


    Klanglich waren/sind Erstpressungen nicht zwingend die klanglich besten Varianten (abhängig von Lust/Laune/Glück/Geschick/Vorgaben des jeweiligen Mannes an der Schneidmaschine) - aber doch zumeist.


    Thomas hat hier in der Sache völlig recht und legt zum Abschluß seiner Karriere auf diesem Forum einen wirklich guten und inhaltvollen Post hin.


    Könnte man einfach auch mal schlicht würdigen ohne das Zacken aus persönlichen Kronen brechen.


    Aber das interessiert ja nicht wirklich - oder ?

    Einmal editiert, zuletzt von intothenexus ()

  • Aber das interessiert ja nicht wirklich - oder ?


    Doch natürlich, auch von Thomas sind fundierte Beiträge willkommen, dann kann man auch mal über seine teilw. herablassende und grossspurige Schreibe hinweglesen.


    Gruss
    Michael


    PS.: Aber wieso als Beispiel Belafonte? :S

    I listen econo....

  • PS.: Aber wieso als Beispiel Belafonte? :S






    Sehr bekannt, sehr verbreitet, in der Regel "gut klingend" (= audiophiles Schlachtroß) extrem lange im Katalog - daher viele Generationen von Matrizen und Schneidversuchen - Harry in der Carnegie Hall eignet sich doch wirklich gut oder ?



    Wer strikte Positionen bezieht wirkt vielleicht auch mal herablassend oder manchmal auch großspurig - vor allem schriftlich.
    Lincoln stellte schon fest (und er war sicher mit dieser Feststellung auch nicht der erste...) daß man kann es nie allen recht machen kann.

  • ????? erst nö und dann eben ?????


    Das ist jetzt ein bißchen wie Mephisto (sorry - don't take it personal!)


    Ich sag mal - um meinen Sohn zu zitieren: Yeap !


    So ein damaliger Vertrag zwischen Herren wie H.v.Karajan, B. Walter, F. Reiner, A. Toscanini, J. Heifetz etc. (auch Harry zur Zeit von "Live at Carnegie Hall") mit ihren jeweiligen Vertragspartnern zwecks Produktion von Tonträgern ist da sehr aufschlußreich.
    Ein Nobody hat bei seinem ersten Aufnahme-Gig sicher keine großen (wenn überhaupt irgendwelche) Vollmachten, - aber ein Top-Künstler - damals wie heute - kann i.d.R. entscheiden, ob das was da in Rille oder Bit als sein musikalisches Statementgepresst/kodiert werden soll so auch i.O. geht oder nochmal überarbeitet werden sollte.


    Frag mal Madonna oder Shakira .... :thumbup:

  • Natürlich haben sich die Dirigenten die Aufnahme und Abmischung angehört - zumindest häufig, nicht immer.
    Das ist selbstverständlich und wird von niemandem bestritten.


    Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie bestimmte LP-Pressungen genehmigt haben. Wie stellst Du Dir das auch praktisch vor?


    Gruß,
    Markus

  • Natürlich haben sich die Dirigenten die Aufnahme und Abmischung angehört - zumindest häufig, nicht immer.
    Das ist selbstverständlich und wird von niemandem bestritten.


    Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie bestimmte LP-Pressungen genehmigt haben. Wie stellst Du Dir das auch praktisch vor?


    Gruß,
    Markus

    Das bestimmte LP-Pressungen genehmigt wurden hat weder Thomas noch ich behauptet.
    Entweder wurde das fertige Mastering-Band gehört oder eine Anpressung.
    War/Ist das einmal von ihm freigegeben, dann hatte/hat die Recordcompany damit das finale Amen des Künstlers.
    Egal wie klanglich bescheiden dann spätere Matrizen geschnitten wurden/werden.

  • Die Frage ist aber doch, welche Ausgaben dann dieses angebliche Amen des Künstlers nicht mehr haben.
    Denn darum ging es ja im Wesentlichen im Ursprungsbeitrag.


    Gruß,
    Markus


    Die Reissues die neu gemastert wurden.
    Wie in den ausführlichen Berichten in the absolu!e sound Mitte der 90iger von Hobson und anderen dargestellt, ist genau das z.B. mit vielen RCA LSC-Reissues von Classic Records geschehen.
    Die Beweggründe dafür sind hier nebensächlich, aber der Gesamtklang (NICHT audiophil gesehen !!) wurde verändert und damit auch der musikalische Eindruck (siehe z.B. auch Kind of Blue mit "korrigierter Geschwindigkeit").
    Entscheidend ist, das dies nicht mehr die finale Version ist, die der Künstler authorisiert hat.


    Das war eigentlich die Aussage in Thomas' ursprünglichen Post