Guten Morgen,
als Sammler diverser Künstler habe ich in den letzten Jahren gelernt, dass man auch loslassen muss.
Manchmal bleibt einem keine andere Wahl, etwa bei Ryan Adams oder Mark Kozelek. Die Trennlinie zwischen Kunst und Privatheit gerät zunehmend unscharf wenn die Musik, um die es geht, persönlich ist und sie deshalb vorher berührt hat. Ich kann beide Künstler nicht mehr von ihren Taten trennen und daher auch die Musik nicht mehr genießen. Gerade bei Adams, den ich nur noch als selbstverliebten Heuchler empfinde.
Bei Van Morrison ist die Sachlage etwas anders. Der galt schon immer als schwierig bei Journalisten und Publikum, was mir egal ist, solange ich in seiner Kunst Momente finde, die mein eigenes Leben bereichern. Ich kann sehr wohl den Scientology-Kitsch der frühen 80er Jahre ausblenden, weil das Gesamtbild von Text und Musik weit darüber hinaus geht. Ich kann sagen, dass VM für mich über Jahrzehnte strahlend leuchtete und ich mich in seiner Musik verlieren konnte. Er war ein Suchender, ein Zweifelnder, ein Romantiker und konnte all das in seiner Musik, die alle Grenzen sprengte, ausleben.
Genau das ist leider seit Jahren nicht mehr der Fall. Die Grenzen von Genres, die er nach Lust und Laune verschob oder vermengte, sind zunehmend einem engen Genrekorsett gewichen, in dessen die Musik nur noch gehobene Unterhaltung für den Tanztee im Altersheim darstellt. Aus den letzten sechs, sieben Alben fällt mir spontan kein einziger Song ein, der mir etwas bedeutete oder der aus der Masse des Immergleichen herausragte.
Die Grenze erreicht war für mich mit den Covid-Alben LASTEST RECORD PROJECT und WHAT’S IT GONNA TAKE? auf denen er sich als Opfer der Regierung aufspielte, der unter Freiheitsentzug leidet und sich als wahrhaftiger Künstler alter Schule darstellt; der sich selbst für integer hält, während er Kommerzialität und Profitstreben verurteilt.
Was ein herrlicher Witz als dann herauskam, dass die ganzen handsignierten Alben und CDs tatsächlich von Stempelmaschinen stammten, was vom VM-Management übrigens bis heute geleugnet wird.
Schluss für mich war dann mit dem Cover von WHAT’S IT GONNA TAKE? mit den riesigen Marionetten-Händen und dem Kinoposter-Motiv von Don Siegels THE BODY SNATCHERS. Der Musik-Millionär auf der Flucht vor… ja, vor was eigentlich? Plakativer und beschämender gehts nicht mehr.
Ich habe die Hoffnung ziemlich aufgegeben, dass VM noch ein paar tolle Songs oder Alben in sich hat. Er wirkt für mich nicht mehr wie ein Suchender oder Himmelstürmer. Leider scheint er genau das von sich selbst zu denken und zelebriert jetzt die Musik seiner Jugend. Das ist vollkommen ok. Soll er. Gibt ja noch einige hier, die das sehr zu schätzen wissen. Es sei euch allen gegönnt.
Ich hingegen blicke neidisch auf Dylan und wünschte mir, VM würde auch noch immer so leuchten und brennen wie Bob.
Kunst ist frei… möge sie es immer bleiben!
Zum Glück sind auch wir frei zu entscheiden, welcher Kunst wir uns widmen oder nicht (mehr).
LG Tobias