Hallo,
Ich finde es etwas verwegen, einem Klassikneuling gleich die audiophile Schlachtrösser zu empfehlen und gleich mit Brakemeier (obwohl ich gerade heute Nachmittag mit ihm telefoniert habe) oder Valin einzusteigen.
Das ist die absolut falsche und zu verbohrt-highfidele, und nicht unbedingt entspannt-zielführende Einstieg in einen absolut unerschöpflichen Bereich der Musik, der VIEL größer ist, als Pop, Rock, Jazz, etc.
Klassik zum kennenlernen gibt es ausreichend für 1-3 Euro pro LP auf Flohmärkten und Gebrauchtläden, sonst Sammlungsaufkäufe.
Wenn man nicht mal weiß, was es da alles gibt, sollte man lieber einen Musikführer, Konzertführer, Opernführer und Ballettführer kaufen, damit man etwas zur Systematik erfährt und einen Überblick bekommt, wer da alles, wann überhaupt und was überhaupt geschaffen hat.
Wer sind die stilprägenden Komponisten, was sind die großen Werke.
Es gibt „Anfänger-Klassik“, womit der Einstieg sicher einfacher und dann hoffentlich auch bleibender gelingt. Das ist für viele Programmmusik (wie Moldau, Peer Gynt, Petrushka, Sheherazade, Háry János, etc), Balett und Oper-Highlights, und je nach Instrument-Neigung die führenden Solokonzerte (ob Klavier, Violine, Cello oder irgendwelche Bläser). Gerade große, bunte, strahlend-dynamische symphonische Musik ist am Anfang höhst faszinierend und bildet einen guten Zugang. Dann kann man sich an die führenden Symphoniker ranmachen, Einstieg ist für viele Beethoven, Dvorak, Tchaikovsky, etc
Und dann kann man gerne mit Barock weitermachen.
Und, zumindest bei mir, war erst danach irgendwann modernes und Kammermusik dran, und auch sehr spät erst Soloklavier.
Dafür höre ich heutzutage SEHR viel soloklavier, und sehr viel Barock und Renaissance. Und sehr sehr viel Kammermusik.
Du solltest einen Überblick schaffen, was gibt es denn alles, wer sind die stilprägenden Komponisten, welche sind die Gattungs-prägenden Werke. Sonst sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und wird nur erschlagen und weiß gar nicht, wo man anfangen sollte. (so ist übrigens bei mir die Situation mit Jazz, ich kenne mich nicht aus, finde den Zugang nicht, weiß nicht, wo ich anfangen soll, aber eigentlich mag ich das auch nicht so sehr. Oder zumindest habe ich die Lieblinge noch nicht entdeckt.)
Man sollte sicher nicht mit sperrigen Werken beginnen, dann verdirbt man sich die Laune. Ebenso kann man sich den Weg mit irgendwelchen superempfohlenen Werken oder Aufnahmen verbauen, wozu man keinen Zugang findet.
Und wie immer in der Musik, findet man den Zugang und die Faszination am einfachsten und vor allem nachhaltigsten über Livemusik.
Ich hatte mir in meiner Studentenzeit hierüber das ganze Wissen angeeignet. Alles aufgesogen, was es gab. Oper, Ballett, Konzerte, Musikhochschule-Veranstaltungen (mit Vorspiel, Proben, Diplomkonzerten, etc.,), aber auch Einführungsveranstaltungen und Matinees mit Künstlerportraits und Werkseinführungen. Vor den Konzerten schon zu Hause Vergleichsaufnahmen gehört und zu den Werken was gelesen, die Programmhefte gekauft und gelesen. Damit kann man einen ganz anderen Zugang zu der Musik finden. Das waren deutlich über 500 Konzertbesuche in knapp 10 Jahren. Wenn ich irgendwo in anderen Städten war, war das erste, mir die Oper- und Konzertprogramme anzuschauen. In dieser Zeit habe ich so viel Musik, Künstler und Konzertsäle erlebt, dass ich bis heute davon „zehre“. Leider ist es jetzt deutlich weniger geworden, aber damals habe ich fast nur dafür gelebt.
Mein Tipp in Kurzform:
1. günstig vieles kaufen, egal was.
2. Dann: Viel hören und viel lesen.
3. Und wenn etwas gut gefällt (nicht, weil empfohlen oder weil teuer oder weil Brakemeier/Valin/Michalik/TAS/MFSL oder sonstwer empfiehlt, sondern weil Du Gänsehaut und Pipi in den Augen hast!) dann in den Musikzeitschriften oder Musikforen (nicht hifi oder audiophiles!) nach guten Aufnahmen suchen und diese dann versuchen zu beschaffen.
… und irgendwann nach 500-1000 Klassik-LPs, vielen Hörstunden und einigen Büchern und allen gelesenen Plattenbeilagen und Coverrückseiten (ja, bei Klassik ist es nämlich durchaus informativ!) hast Du etwas Überblick geschaffen, und stellst fest, dass da nochmal mindestens 10x so viel Klassik zu entdecken gibt…
Und noch etwas: keine Angst vor CDs. Erstens hat die Interpretation von klassischer Musik nicht Ende der 80er Jahre einen Halt gemacht, sondern es kamen SEHR viele bedeutende Künstler auch danach. Und zweitens weil es ohne Ende günstige, auch historische, wiederaufgelegte, sog. „wiederverwertete“ Klassik-CDs gibt. Und die werden Dir genauso hinterhergeschmissen, wie die Klassik-LPs, die ebenfalls keiner will.